Mittwoch, 31. Dezember 2008

Omar Khayyam


meine pessoa-lektüre werde ich bis auf weiteres einstellen. es fehlen zwar noch einige wenige der knapp 530 seiten, doch es ist nicht mehr die rechte zeit. vielleicht kommt sie einmal wieder... schließen möchte ich dieses kapitel und gleichzeitig das jahr 2008 mit pessoas gedanken zu dem persischen weisen, mathematiker, astrologen und dichter, omar khayyam:

"Der Lebensüberdruß Khayyams ist nicht der Überdruß eines Menschen, der nicht recht weiß, was tun, da er in der Tat nichts tun kann oder zu tun versteht. Dies ist der Überdruß von Totgeborenen, die sich verständlicherweise Morphium und Kokain zuwenden. Der Überdruß des persischen Weisen ist tiefgründiger und edler. Es ist der Überdruß von jemandem, der klar dachte und sah, daß alles dunkel war; der alle Religionen und alle Philosophien überdachte und dann wie Salomon sprach: 'Und ich sah, daß alles Eitelkeit und Anfechtung des Geistes war...', oder mit den Worten eines anderen Herrschers, Kaiser Septimius Severus, als er der Macht und der Welt Lebewohl sagte: 'Omnia fui, nihil [expedit] ...' - 'Ich bin alles gewesen; nichts lohnt die Mühe.'

[...]

Die praktische Philosophie Khayyams beläuft sich mithin auf ein sanftes Epikureertum, in dem nur noch vage der Wunsch nach Vergnügen durchscheint. Es genügt ihm, Rosen zu betrachten und Wein zu trinken. Eine leichte Brise, ein Gespräch ohne Absicht noch Plan, ein Krug Wein, Blumen, darin und in nichts sonst gipfelt der höchste Wunsch des persischen Weisen. Die Liebe erregt und ermüdet, das Handeln verzettelt und geht fehl, niemand gelangt zum Wissen, und das Denken färbt alles trüb. Daher lassen wir besser ab vom Wünschen und Hoffen, vom müßigen Ehrgeiz, die Welt erklären, und dem törichten Vorhaben, sie verbessern oder regieren zu wollen. Alles ist nichts oder, wie es in der Griechischen Anthologie heißt: 'Alles rührt von der Unvernunft', dies sagt ein Grieche und somit ein rationaler Geist."

(Pessoa, Das Buch der Unruhe)

ganz in diesem sinne: auf ein neues!!

Montag, 29. Dezember 2008

Geld


lauschen wir zu diesem thema einmal den ausführungen dr. waldheims, der zu dem suchenden, leicht todessehnsüchtigen mihály bezüglich eines eventuell ehrenrührigen händels spricht:

"'Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich bin überzeugt, daß du dich aus Blödheit zierst', sagte Waldheim mit großem Schwung. 'Du bist immer noch der brave Sohn deines in Ehren ergrauten Vaters, immer noch ein Spießbürger. Wenn einem jemand Geld geben will, muß man es annehmen, darin sind sich alle Autoritäten der Religionsgeschichte einig. Du aber hast noch immer nicht gelernt, daß das Geld ... daß es einfach nicht zählt. Es zählt dort nicht, wo die wesentlichen Dinge zählen. Geld braucht es immer, und wenn man sich nicht darum kümmert, gibt es auch immer welches. Wieviel und woher und wie lange, das ist völlig belanglos. So wie alles belanglos ist, was mit dem Geld zusammenhängt. Für Geld bekommt man nichts, das wichtig ist. Was man für Geld bekommt, ist vielleicht lebensnotwendig, aber nicht wichtig.
Die Dinge, für die es sich wirklich zu leben lohnt, kosten nie etwas. Es kostet dich keinen Kreuzer, daß dein Geist das großartig Vielgestaltige, die Wissenschaft, aufzunehmen vermag. Es kostet dich auch keinen Kreuzer, daß du in Italien bist, daß über dir der italienische Himmel ist, daß du durch italienische Straßen gehen und im Schatten italienischer Bäume sitzen darfst und daß abends die Sonne italienisch untergeht. Es kostet dich keinen Kreuzer, wenn du einer Frau gefällst und sie mit dir ins Bett geht. Es kostet dich keinen Kreuzer, hin und wieder glücklich zu sein. Geld kostet nur das, was darum herum ist, um das Glück herum, all die dummen, langweiligen Requisiten. Es kostet kein Geld, in Italien zu sein, aber es kostet etwas, hierherzureisen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Es kostet kein Geld, daß die Frau deine Geliebte ist, sondern nur, daß sie zuweilen essen und trinken und sich anziehen muß, damit sie sich wieder ausziehen kann. Doch die Spießbürger leben schon seit eh und je davon, daß sie sich und die anderen mit Dingen eindecken, die Geld kosten, und so haben sie die Dinge vergessen, die umsonst sind. Sie halten nur das für wesentlich, was viel kostet. Der reinste Wahn. Nein, Mihály, das Geld darf man nicht zur Kenntnis nehmen. Man muß es akzeptieren wie die Luft, die man atmet. Von der will man ja auch nicht wissen, woher sie kommt, solange sie nicht stinkt."
(Antal Szerb, Reise im Mondlicht)

tja, ob dem wohl so ist??

der dem weiblichen geschlecht äußerst zugetane und für sein fach mit inbrunst entflammte religionswissenschaftler waldheim wird von mihály an anderer stelle des romans tiefergehnd charakterisiert. vielleicht ist diese darstellung auch für die geld-frage nicht unerheblich:

"Ein Mensch [Waldheim], dem das Unmögliche gelungen ist, dachte er [Mihály] neidisch, während sich Waldheim mit Rohschinken vollstopfte und Erklärungen gab. Ein Mensch, dem es gelungen ist, sich in der ihm entsprechenden Lebensphase zu fixieren. Denn ganz sicher hat jeder Mensch eine nur ihm entsprechende Lebensphase. Es gibt solche, die ihr Leben lang Kinder bleiben, und solche, die ihr ganzes Leben linkisch, unbeholfen, fehl am Platze sind, bis sie sich als schöne, weise Greisinnen und Greise wiederfinden, endlich zu Hause in ihrem Moment. Bei Waldheim war es das Wunderbare, daß er in der Seele ein Student bleiben konnte, ohne auf die Welt, den Erfolg, das Geistesleben verzichten zu müssen. Er hatte eine Bahn eingeschlagen, auf der seelische Rückständigkeit nicht auffällt, ja sogar förderlich ist, und von der Wirklichkeit nahm er nur so viel zur Kenntnis, wie es mit seiner Fixierung vereinbar war. Das ließ sich sehen! Wenn es Mihály auch so hätte einrichten können..."


Mittwoch, 10. Dezember 2008

Und?

Und?

Deine gedanken? auf dem nassschwarzen asphalt

Vor shakespeare’s pub??

Seneca soll einen grashalm gesehen haben, fern

Und die weiten einer heimatlandschaft bei

Cordoba.


Alles altersschwache romantik!

Du wirst die schläuche wahrgenommen haben

Aufregung und den eintritt der kanüle als sie die elektroden anheizen

Gnadenlos registriert, wie immer, dass sie deinen schweren und schwülstigen körper

Aufgebockt hatten, um ihn auf die trage zu hiefen

Schnaufend und stickend die professionellen helfer nach 18 stunden

Tag

Scheinwerfer und blaulicht gebrochen in dreckigen regenpfützen und ein film

Aus blut und speichel über deinem gesicht, deinen dicken braunen augen.

Das lidflickern und die medikamente haben dich nicht abgehalten

Unterbewusst auch hier noch zu beobachten, wie

Sich das leben windet. möglicherweise

Nur ganz zuletzt ein lächeln nach innen und gegen die welt:

Ihr könnt mich mal, ihr wichser,

Ich bin

Raus!

Donnerstag, 27. November 2008

bi


bi
bittersweet
paula banholzer
es heißt, du wärst die einzige frau, die er je geliebt habe
und die weigel machte die küche


im traum hab ich dich gesehen
eine pink-weiße mischung aus dem (unerträglichen) pfefferminzbruch meiner mutter
klebrige, übersüße anhänglichkeit auf den schäbigen rummelplätzen meiner jugend
versehen mit dem ausdruckvermögen einer dreijährigen
in dem mir unzugänglichen bereich weiblicher sexualität jedoch
jenseits
der greifbaren kategorie
immer der sand
zwischen meinen fingern


weitermachen...


zum wiedereinstieg das
vorwort aus brinkmanns gedichtband westwärst 1&2:

Vorbemerkung

Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter, die Tiere und Bäume machen weiter, Tag und Nacht macht weiter, der Mond geht auf, die Sonne geht auf, die Augen gehen auf, Türen gehen auf, der Mund geht auf, man spricht, man macht Zeichen, Zeichen an den Häuserwänden, Zeichen auf der Straße, Zeichen in den Maschinen, die bewegt werden, Bewegungen in den Zimmern, durch eine Wohnung, wenn niemand außer einem selbst da ist, Wind weht altes Zeitungspapier über einen leeren grauen Parkplatz, wilde Gebüsche und Gras wachsen in den liegengelassenen Trümmergrundstücken, mitten in der Innenstadt, ein Bauzaun ist blau gestrichen, an den blauen Bauzaun ist ein Schild genagelt, Plakate ankleben Verboten, die Plakate, Bauzäune und Verbote machen weiter, die Fahrstühle machen weiter, die Häuserwände machen weiter, die Innenstadt macht weiter, die Vorstädte machen weiter. Einmal sah ich eine Reklame für elektrische Schreibmaschinen in einem Schaufenster, worin Büromöbel ausgestellt waren. Ein Comicbildchen zeigte, wie jemand Zeichen in eine Steinplatte schlug, und eine Fotografie zeigte eine Schreibmaschine. Ich war verblüfft. Wo ist der Unterschied, fragte ich mich. Sie wollten mir doch damit einen Unterschied klar machen. Hier sitze ich, an der Schreibmaschine, und schlage Wörter auf das Papier, allein, in einem kleinen engen Mittelzimmer einer Altbauwohnung, in der Stadt. Es ist Samstagnachmittag, es ist Sonntag, es ist Montag, es ist Dienstagmorgen, es ist Mittwoch, es ist Donnerstag, es ist Freitagnachmittag, es ist Samstag und Sonntag. Es ist ein erstaunliches Gefühl, meine ich, das den Verstand erstaunt. Nun erinnere ich mich, an mich selbst, und da gehe ich eine lange Strecke zurück, gehe über warme Asphaltschichten von Seitenstraßen, die Turnschuhe kleben daran, aus einer Musikbox, ganz weit zurück, kommt Rock’n’Roll-Musik und läßt mich die lateinische Übersetzung vergessen. Ich haue ab, trete über verharschte Wiesen im Winter, außerhalb des Ortes, schleppe die Schultasche mit den Büchern mit mir herum, bis Mittag ist und ich zum Mittagessen kann, hellweiße kalte Vormittage in Norddeutschland mit den Wetterberichten nach den Nachrichten. Zwischen den weißen, frischen, zusammengelegten Bettlaken im Schlafzimmerschrank lag immer eine kleine matt-schwarz glänzende Pistole, bequem für eine Handtasche. Und wie war das Wetter, als ich geboren wurde? Meine Eltern waren jung, sie sprachen deutsch. Ich mußte das erst lernen, man wächst immer in eine schon gesprochene Welt rein. Das Lernen macht weiter. Deutsch macht weiter. Wiesen im Winter und warme Asphaltstraßen machen weiter, die Straßenecke macht weiter, die Wetterberichte machen weiter, die Bücher machen weiter, Pistolen, Schultaschen, Turnschuhe machen weiter. Die Nachrichtensprecher machen weiter. Der Sonntag macht weiter. Der Montag macht weiter. Der Postbote macht weiter. Der Dill macht weiter, und die Blätter machen weiter, die Zwiebeln, die Kuh, die Steine, der Film. Der Schallplattenspieler, repariert, macht weiter. Auch die Interpretationen machen weiter. Es sind die Bücher. Ich muß bei diesem Satz sehr lachen. Das Lachen ist angenehm. Als ich in einem gräßlich eingerichteten Apartment in Austin morgens gegen fünf Uhr auf dem vollgepackten Koffer kniete und die Kofferschlösser zuzukriegen versuchte, hörte ich aus dem Radio ein Lied, das mir sofort, nachdem es angefangen hatte, gefiel. Ich stelle das Lied, so wie ich es nach der Schallplatte aufgeschrieben habe, als erstes Gedicht hierher, denn mir gefällt es noch immer, und ich denke, daß das Lied gut als Zitat für meine Gedichte paßt. Der Beifall macht weiter, die Wörter machen weiter, die Knöpfe machen weiter, der Stoff macht weiter, das Marihuana macht weiter, was hat die Grammatik mit Marihuana zu tun? Das Marihuana war sanft und würzig. Die teueren Vororte sind durch Stille gesichert. Manchmal gibt es dort keine Fußgängerwege, und nur manchmal sieht man, beim Hindurchgehen, ein erhelltes Fenster, ganz oben, unterm Dach. Davor werden Bäume bewegt. Im Moment habe ich keinen Hunger, obwohl ich weiß, daß der Hunger weitermacht, der Moment weitermacht, die Erde weitermacht, die sozialen Lagen machen weiter, und der Hund, der in der Nachbarwohnung eingesperrt ist und schon den ganzen Morgen bellt, macht weiter. „Die Erklärung ist sinnlos. Der Finger ist sprachlos", wie R. D. Laing sagt. Ich blättere durch Bücher. Ich fliege etwas und sehe: „So wie der Nahrungstrieb sich subjektiv als Hunger und objektiv als «Tendenz» zur Erhaltung des Individuums präsentiert, so der Sexualtrieb subjektiv als Bedürfnis nach Sexualbefriedigung und objektiv als «Tendenz» zur Erhaltung der Art. Diese «objektiven Tendenzen» sind aber keine konkreten Gegebenheiten, sondern bloß Annahmen. Es gibt in Wirklichkeit ebensowenig eine Tendenz zur Erhaltung der Art wie eine solche zur Erhaltung des Individuums.“ Erstaunlicher Wilhelm Reich, schöne Sexualität, die weitermacht, und tatsächlich, Utopia ist eine Kiste. Das Geld macht weiter, und die Zusammenbrüche, wie die Songs weitermachen. Ich hätte gern viele Gedichte so einfach geschrieben wie Songs. Leider kann ich nicht Gitarre spielen, ich kann nur Schreibmaschine schreiben, dazu nur stotternd, mit zwei Fingern. Vielleicht ist mir aber manchmal gelungen, die Gedichte einfach genug zu machen, wie Songs, wie eine Tür aufzumachen, aus der Sprache und den Festlegungen raus. Mag sein, daß deutsch bald eine tote Sprache ist. Man kann sie so schlecht singen. Man muß in dieser Sprache meistens immerzu denken, und an einer Stelle hörte ich, wie jemand fluchte: Ihr Deutschen mit Euren Todeswünschen, wenn Ihr sprecht! Bezogen auf die Erfindung der Psychoanalyse stimmt das. Was für Entzückungen eine Straße entlangzugehen, während die Sonne scheint. Die Gedichte, die ich hier zusammengestellt habe, sind zwischen 1970 und 1974 geschrieben worden, zu den verschiedensten Anlässen, an den verschiedenen Orten, ob sie gut sind? fragst Du. Es sind Gedichte. Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen. Der Raum macht weiter. Ich mache die Augen auf und sehe auf ein weißes Stück Papier.

R. D. B. 11./12. Juli 1974, Köln

Mittwoch, 5. November 2008

I wish I could sing no regrets...


es ist zeit für melodischere töne. habe ich hier eigentlich schon mal mein faible für frau winehouse kund getan? tja, wenn nicht, dann ist es wohl jetzt soweit...

enjoy!





Sonntag, 26. Oktober 2008

Der Geschmack von Trauben und Honig


Gedicht


Vorderseite

Du hast geschlafen. Ich wecke dich.
Der große Morgen beschert die Illusion eines Beginns.
Du hattest Vergil vergessen. Da sind die Hexameter.
Ich bringe dir viele Dinge.
Die vier Wurzlen des Griechen: Erde, Wasser, Feuer, Luft.
Einen einzigen Frauennamen.
Die Freundschaft des Mondes.
Die hellen Farben des Atlas.
Das läuternde Vergessen.
Die Erinnerung, die auswählt und neu entdeckt.
Die Gewohnheit, die uns hilft, uns unsterblich zu fühlen.
Die Kugel und die Zeiger, die die ungreifbare Zeit
parzellieren.
Den Duft von Sandelholz.
Die Zweifel, die wir nicht ohne Eitelkeit Metaphysik nennen.
Die Krümmung des Stocks, den deine Hand erwartet.
Den Geschmack von Trauben und Honig.

Rückseite

Einen Schlafenden wieder erinnern
ist ein gewöhnlicher, alltäglicher Vorgang,
der uns erzittern lassen könnte.
Einen Schlafenden wieder erinnern
heißt, einem anderen das unendliche
Gefängnis des Universums
und seiner Zeit ohne Abend und Morgen aufbürden.
Heißt, ihm offenbaren, daß er jemand oder etwas ist,
unterworfen einem Namen, der ihn bloßstellt,
und einer Anhäufung aus Gestern.
Heißt, seine Ewigkeit trüben.
Heißt, ihn mit Jahrhunderten und Sternen belasten.
Heißt, der Zeit einen weiteren Lazarus wiedergeben,
übervoll von Erinnerung.
Heißt, Lethes Wasser schänden.

(Jorge Luis Borges, Gedicht)


heute ist meine nichte geboren, 1h nachts.
ein kleines, rotes wesen
, mit augen, die diese welt noch nicht sehen.
ein herbstkind
wie ich

Freitag, 24. Oktober 2008

nachtrag: dem steinernen gast


so, nun endlich in der von brinkmann vorgegebenen graphischen anordnung:





(rdb, westwärts teil 2)

Donnerstag, 23. Oktober 2008

und wie Plunder...


[...] und wie Plunder
brennt unsere Hoffnung
in die ausgezährte
Nacht ein Irrlicht den Säuen
zum Trog

(RDB, An Gryphius)


Dienstag, 21. Oktober 2008

STERBENDER MANN MIT SPIEGEL


STERBENDER MANN MIT SPIEGEL

Puschkin sterbend
An seiner Duellwunde
Ließ sich einen Spiegel bringen
Und eine Schüssel mit Hirsebrei
WIE EIN AFFE sagte er
Löffelnd in den Spiegel

Nach menschlichem Ermessen werden wir
Einander nicht wiedersehen Wir brauchen uns
Nichts mehr vorzumachen Es kommt Wahrscheinlich
Nichts Neues mehr sondern es kommt Wahrscheinlich
Nichts Was immer das sein mag
Auch der Sprung in den Spiegel brächte uns
Einander nicht mehr näher Glas klirrt
Wie Frauen schrein

2.10.1992

(Heiner Müller)


Donnerstag, 16. Oktober 2008

Es ist tatsächlich nicht einzusehen ...


schon vor einiger zeit habe ich vollmundig verkündet, dass ich einige, so wundervoll politisch inkorrekte zitate rolf dieter brinkmanns zur hand hätte und demnächst präsentieren wolle. dem ist wirklich so, aber ich komme einfach zu gar nichts. man sollte diese lästigen realitätsanforderungen einfach abschalten... bevor ich nun aber übers wochenende kurz entschwebe, wollte ich zumindest ein kleines schmanckerl von ihm da lassen:


„Es ist tatsächlich nicht einzusehen, warum nicht ein Gedanke die Attraktion von Titten einer 19jährigen haben sollte, an die man gerne faßt …“


(RDB, Der Film in Worten)


das nenne ich wahren idealismus! der aufbruch von kunst und intelligenz in ganz neue dimensionen der selbstverwirklichung... ;-)



For life is quite absurd
And death's the final word.
You must always face the curtain with a bow.
Forget about your sin.
Give the audience a grin.
Enjoy it. It's your last chance, anyhow.
So,...

Always look on the bright side of death,
Just before you draw your terminal breath.

Life's a piece of shit,
When you look at it.
Life's a laugh and death's a joke it's true.
You'll see it's all a show.
Keep 'em laughing as you go.
Just remember that the last laugh is on you.
And...

Always look on the bright side of life.
Always look on the right side of life.

(monty python, life of brian)




Freitag, 10. Oktober 2008

singing "a song of sorrow and grieving"


so, heute mal was lehrreiches:


Thomasin von Zerclaere: „Der Welsche Gast“:


daz ist der minne gewonheit.

die sporen fuorent durh die boume
daz ross, daz da vert ane zoume.
alsam vert der, der ane sinne

went spilen mit der vrowen minne.
sie fueret in hin uber die boume,
riht ers nicht mit des sinnes zoume.
daz fiuwer ist nuotze unde guot,
swer im niht unrehte tuot.

gewinnet daz fiuwer ueberchraft
daz man im let die maeisterschafi
so ist verlorn und verwuost gar
swaz ez begrifet, daz ist war.

all daz selbe ist umb die minne,
ob si unterchumt die sinne:
sie blendet wises manne muot
und schendet sel, lip, ere und guot.
swer dem fiuwer nahet ze hart,
der besenget sinen bart.


"Die Natur der Liebe ist so beschaffen, dass sie den Weisen weiser macht und dem Toren noch mehr Narrheit gibt. Das ist Gesetz der Liebe. Die Sporen treiben ein Ross in das Dickicht, wenn es kein Zaumzeug besitzt. Ebenso verfährt der, der ohne Verstand glaubt, mit der Frauenliebe spielen zu können. Sie führt ihn über Stock und Stein, wenn er sie nicht mit dem Zaum des Verstandes zügelt. — Das Feuer ist gut und nützlich, wenn man richtig damit umgeht. Nimmt das Feuer überhand, so dass man ihm die Meisterschaft überlässt, so ist verloren und verwüstet, was es angreift, das ist wahr. Genauso verhält es sich mit der Liebe, wenn sie den Verstand überwältigt: sie blendet die Einsicht des Menschen und verwüstet Seele, Leib/Leben, Ehre und Besitz. Wer dem Feuer zu nahe kommt, dem versengt es seinen Bart."


ich hab ja was übrig für dergleichen rüttelschüttelreim- und überskniebrech-allgemeinheits-analogien. wenn sie aus verstaubten zeiten sind, um so besser! besonders schön finde ich natürlich den hinweis, dass das feuer „gut und nützlich“ sei, „wenn man richtig damit umgeht“. „gut und nützlich“ dieses bürgerliche geschwisterpaar spielt wirklich nicht mit den feuer und es tut gut daran...

ob es als gegenmaßnahme zum in aussicht gestellten brand wohl schon reichen würde, sich täglich zu rasieren?

bon nuit


Mittwoch, 8. Oktober 2008

Alle Tage...


"Vom Traum und für den Traum leben, das Universum auseinandernehmen und wieder zusammensetzen - gedankenverloren wie in den Augenblicken, in denen wir träumen; und dies in dem bewußten Bewußtsein der Nutzlosigkeit und [...] dieses Tuns. Das Leben mit ganzem Körper ignorieren, sich mit allen Sinnen aus der Wirklichkeit verlieren, der Liebe mit ganzer Seele entsagen. Die Krüge, die wir zum Brunnen tragen, mit nutzlosem Sand füllen und leeren, um sie wieder zu füllen und wieder zu leeren, umsonst, umsonster, am umsonstesten.
Girlanden binden und, sobald sie gebunden sind, lösen, gründlich, ganz und gar".


oder aber, silbern, ein kalter hauch:


"Alle Tage mißhandelt mich die Materie. Meine Sensibilität ist eine Flamme im Wind".

(Pessoa, Unruhe)

Sonntag, 5. Oktober 2008

dem steinernen gast


ich erinnere steife dielen und die stunden der tierwerdung, nicht in der parisbar, aber an orten die ebenso einen vorhauch von schwefel kaum übertünchen konnten. blickcollagen deren zwischenräume halbstundenintervalle eingenommen haben mögen und der abschied auf polnisch, queer-beet. die imposante steinerne figur gelehnt an den pfeiler – es hätte nicht wunder genommen, wenn sie jeden moment zu leben erwacht und einen richterspruch ausgesprochen oder gleich vollzogen hätte. meistens aber blieb sie stumm.
its been too long, dass sich dergleichen nicht mehr ergeben hat, vielleicht ist die zeit eh vorbei. erinnert wurde ich durch die zeilen von brinkmann, dem alten kölner und noch immer lassen mich die girlanden grübeln... ein schillerndes, ein zweifelhaftes wort, das ich mit zu bett nehmen werde am ersten wirklich miesen herbsttag dieses jahres.


Ich möchte Wörter benutzen, die

nicht zu benutzen sind. Ich möchte sprechen zu denen, die ich

liebe,

sollte ich mir

ich möchte das nur wieder einmal zeigen, was darin ist?

Ich möchte nicht verladen werden. Ich schaute auf

Gehirn aufbrechen und

über einen Tanzboden schwofen

ohne Girlanden, ich möchte einfach

diese Wörter.

nur einfach ohne Erklärung sein

(RDB, Westwärts, Teil 2)


ps: durch die formatierung is jetzt was anderes rausgekommen als es eigentlich sollte aber auch das ist vielleicht ganz interessant... somit kein zitat sondern: wortsalat nach brinkmann


Samstag, 4. Oktober 2008

als ob ...


als ob pessoa mir beim abfassen meiner ma über die schulter gesehen oder sich in meinen schädelwänden eingenistet hätte:


Schiebe alles auf. Tue niemals heute, was du auf morgen verschieben kannst. Alles Tun ist müßig, heute wie morgen.

Überlege nie, was du tun wirst. Tue es nicht.

(pessoa, unruhe)


Sonntag, 28. September 2008

getting cigarettes


auf vielfachen wunsch...


the one and only!!






Samstag, 27. September 2008

Macbeth

Der seit seiner Mordtat an König Dunkan und der von ihm in Auftrag gegebenen Tötung seines potentiellen Widersachers Banquo von Schlaflosigkeit und Geistererscheinungen malträtierte Macbeth verkündet in Schillers Übersetzung:


Ich habe keinen Sinn mehr für die Furcht.

Sonst gab es eine Zeit, wo mir der Schrei

Der Eule Grauen machte, wo mein Haar

Bei jedem Schrecknis in die Höhe starrte,

Als wäre Leben drin – Jetzt ist es anders.

Ich hab’ zu Nacht gegessen mit Gespenstern,

Und voll gesättigt bin ich von Entsetzen.


Die im nächsten Moment auf ihn niedergehende Nachricht vom Selbstmord seiner Frau Lady Macbeth, welche durch ihre Anregung und Beihilfe zum Mord ebenfalls von Schlaflosigkeit und Schlafwandel gepeinigt, in ihren Wahnvorstellungen ihre Hände vom Blut nicht mehr reinwaschen konnte, sowie der kurz bevorstehende Ansturm auf seine Burg durch die Allianz der Konterrevolution können ihm keinen Schrecken mehr bereiten.

Seit ihm die Erscheinung von Banquos Geist beim Festmahl mit den adligen Untertanen seines Landes als Vision seiner Schuld ins Mark gefahren ist, ist er gesättigt „von Entsetzen“ und hat seine größte Qual, seinen größten Feind im eigenen Gewissen ausgemacht. Schon kurz nach der vollbrachten Tat, dem nächtlichen Mord an seinem ehemaligen Dienstherrn und König, vermeinte er, den Schlaf selbst ermordet zu haben, „Das frische Bad der wundenvollen Brust,/ Das linde Öl für jede Herzensqual,/ Die beste Speise an des Lebens Mahl!“ und steht nunmehr fern ab jeder Hoffnung. Heimgesucht von den Verstrickungen der Vergangenheit und den psychologischen Selbstvorwürfen, geboren aus der eigenen Missetat, wandelt er gebannt in eine desolate Situation jenseits der Furcht wie der persönlichen Zuversicht. Es ist der zehrende Dialog mit den eigenen Geistern, die quälende Frage nach Verantwortung und Schuld, die schwerer wiegt als jeder zukünftige Verlust oder Gewinn und jedes Unglück to come; übrig bleibt die Flucht nach vorn.


Auf dass der Wald zu schreiten beginnen möge!


Donnerstag, 25. September 2008

Idiot Prayer

Idiot Prayer

They're taking me down, my friend
And as they usher me off to my end
Will I bid you adieu?
Or will I be seeing you soon?
If what they say around here is true
Then we'll meet again
Me and you

My time is at hand, my dove
They're gunna pass me to that house above
Is Heaven just for victims, dear?
Where only those in pain go?
Well it takes two to tango
We will meet again, my love
I know

If you're in Heaven then you'll forgive me, dear
Because that's what they do up there
If you're in Hell, then what can I say
You probably deserved it anyway
I guess I'm gunna find out any day
For we'll meet again
And there'll be Hell to pay

Your face comes to me from the depths, dear
Your silent mouth mouths, ‘Yes’, dear
Dark red and big with blood
They're gunna shut me down, my love
They're gunna launch me into the stars
Well, all things come to pass
Glory hallelujah

This prayer is for you, my love
Sent on the wings of a dove
An idiot prayer of empty words
Love, dear, is strictly for the birds
We each get what we deserve
My little snow white dove
Rest assured


(Nick Cave, Idiot Prayer)


visuell zwar nicht die aufwendigste variante, aber für diejenigen, die den song nicht kennen, gibts eine soundgrundlage hier.

Sonntag, 21. September 2008

A mókus


These days sokat neztem a mókust.

I guess, that must mean, hogy jó ember vagyok,

but I doubt it.


Egy fehér pocival

He climbs up the fence

És is busy nowadays all the time.


He reminds me of much more pleasant,

Of blessed days,

When I was somebody else.



Remind me not, remind me not

Of those beloved, those vanished hours

When all my soul was given to thee

Hours that may never be forgot

Till time unnerves our vital powers

And thou and I shall cease to be


(Lord Byron, Remind me not, remind me not)


know still by heart,

aufgesogen auf einer langen sonnenfahrt nach südfrankreich,

schon damals zwischen vielen

allein.


„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt Müller im späten Interview nach der Wende. Noch immer bin ich darüber erstaunt, dass er dieses Bibel-Zitat so verwendet hat und ich frage mich, ob ich dieser Figur in den letzten anderthalb Jahren einen einzigen Schritt näher gekommen bin? An manchen Tagen überfällt mich das schwere und selbstzerrstörerische Gefühl, dass man über Literatur (und besonders über Lyrik) eigentlich überhaupt nicht schreiben, nicht schwadronieren sollte. Jedenfalls nicht zu einem Zweck.

na ja, das viele schwadronieren, belegen und dozieren hat mich müd gemacht. ich habe eine affinität entwickelt zu schlussstrich und zu neuanfang, alles einreißen und sein scheitern eingestehen... cave spekuliert, „the game is never won by standing in any one place for too long“ und ich scheine mich seit zeitwenden nicht bewegt zu haben. wie wärs mit einem zweiten frühling? abgetackelter mittdreiziger entdeckt neue blüte, bedeutend seichter und der eigenen gebrechen eingedenk, aber doch leicht inspiriert setzt er traumwandlerisch schritt für schritt. „you shall arise“ tönt es aus blechernen lautsprechern oder aber engelsposaunen über die herbstblumenwiese und er meint, es könnte ein zeichen sein...

astern


Sonntag, 14. September 2008

rauchen


es ist mal wieder zeit für meinen alten freund rolf dieter. ich habe in der letzten zeit sehr interessante sachen von ihm gelesen, wovon einiges mit sicherheit hier hingehört. da wir heute sonntag haben, den tag des herrn sozusagen, wollen wir es aber erstmal bei leichter muse belassen und die politisch inkorrekten dinge für die arbeitswoche aufheben...

außerdem können wir auf diese weise ein thema aufgreifen, das den einen oder anderen von uns persönlich betrifft und durchaus anregend auf einen differenzierten und verantwortungsbewussten umgang hinwirken könnte.

zuerst also brinkmann. in der einleitung seiner anthologie neuer amerikanischer gedichte zitiert er einen Joe Brainard, dessen Artikel mir sehr gefallen hat:

"Das einzige, was mit den Leuten nicht stimmt, ist: daß sie nicht genug rauchen. Ich rauche vier Päckchen am Tag und bin stolz darauf. Warum nicht? Wir alle wissen genau, daß wir nicht schon morgen an Krebs sterben oder übermorgen oder / und dann den Tag - also, was soll's? Ich habe täglich vier Päckchen geraucht, seitdem ich 14 Jahre alt bin, und bin stolz darauf. Und wenn ich auch Krebs kriegen werde, würde es nicht viel ausmachen. Wenn man irgend etwas tut, sollte man es so gut wie nur möglich tun.
Eine andere Sache, die ich nicht leiden kann, sind Leute, die Mentholzigaretten rauchen. Ich weiß nicht genau, warum, aber irgendwas ist daran falsch.
Es gibt so viele verschiedene Sorten von Zigaretten, daß es einem schwerfällt zu entscheiden, welche Sorte man rauchen soll. Die Entscheidung wird leichter, wenn man zuerst die Möglichkeit ausscheidet, Mentholzigaretten zu rauchen, und dann zwischen Filter und ohne Filter wählt. Es ist hauptsächlich eine Frage des Geschmacks. Ich rauche Filterzigaretten, aber wie ich schon sagte, es ist hauptsächlich eine Frage des Geschmacks.
Wenn es etwas gibt, das ich nicht leiden kann, dann sind es Leute, die überhaupt nicht rauchen. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Einige Leute sagen, daß es zu teuer sei, aber wenn jemand wirklich wie wild rauchen möchte, kann er es und wird er es auch."

soweit, so gut. natürlich sind in diesem zitat nicht die panikattacken enthalten, die brinkmann zu hauf hatte (und in den materialbänden festhielt), die sich einstellten, wenn sein bein schmerzte und er befürchtete, es müsse ihm abgenommen werden; aber so ist das mit literatur, so ist das mit geschriebenem: es ist zu jeder zeit eine pose und wir spitzen zu auf das interessante, auf das herausragende und wer schert sich schon um den rest? es soll faszinieren, wenn’s geht, und die differenzierung, den tag danach besorgt sowieso die realität, das muss man nicht auch noch in lettern festpressen... und wer weiß auch, wie es gelaufen wär, der rechtsverkehr hat ihn dahingerafft und ihm lungenkrebs und amputationen erspart/ verwehrt.

gerade gestern traf ich übrigens jemanden, der wirklich mentholzigaretten raucht und ich muss sagen, dass mich das gleiche vage gefühl überfiel wie unseren Joe – irgendwie stimmt da was nicht...


zum abschluss aber nun noch mein solitär, mein wirklich unangefochtener held - körschgen:





Montag, 8. September 2008

leben um sich darüber zu beschweren...


"dieses leben ist eine scheißveranstaltung", ist der satz, der schon seit längerer zeit meine wahre überzeugung ausdrückt. ich hoffe, er wird eines tages auf meinem grabstein stehen und das die hinterbliebenen sich nicht aus scham oder mangelndem humor dazu hinreißen lassen, ihn zu unterschlagen. wenn man weg is muss man sich ja auf die anderen verlassen...
vielleicht wäre es auch stilvoll sich die beiden öpis aus der muppetshow einmeißeln zu lassen. bis es soweit ist, können wir ja aber noch ein wenig schmunzeln... ;-)





Donnerstag, 4. September 2008

Astern


der herbst, das ist wahrlich die zeit von gottfried benn, deshalb ein weiterer, großer Schwanengesang, deshalb:

Astern

Astern - schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du -
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,

noch einmal ein Vermuten
wo längst Gewißheit wacht:
die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.

(Gottfried Benn)


Montag, 1. September 2008

alte gespenster suchen mich heim...


alte gespenster suchen mich heim.
es sind tierfratzen, sie tragen katzenaugen.


bei pessoa las ich letztens einen schönen satz dazu, der sich wohl in erster linie auf die hübschen unter ihnen bezieht:


„Frauen – eine gute Quelle für Träume. Berühre sie nie.“


leider habe ich zu selten nach dieser maxime gelebt...



„Oh Mary, you have seduced my soul/ Forever a hostage of your child’s world”

(Nick Cave, Sad Waters)


Samstag, 30. August 2008

Einsamer nie –


Am 10.8.1941 notiert Klaus Mann in sein Tagebuch:
„Die Zeile von Gottfried Benn will mir – trotz allem – nicht aus dem Sinn: >Einsamer nie als im August [...]<“.

Dieses Statement hat durchaus einen schwerwiegenden Charakter. Klaus Mann ist derjenige, viel jüngere Literat, der Benn sehr bewunderte und ihn frühzeitig warnend auf seinen Zug zum Irrationalen und tendenziell Faschistischen hinwies als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen. In seinem Brief aus dem französischen Exil vom 9.5.1933 hatte er mit Geschick und Diplomatie, aber besonders mit spürbarer, ungespielter persönlicher Anteilnahme versucht, den in Deutschland verbliebenen und mit den Nazis kooperierenden zu einem Umdenken zu bewegen. 17 Jahre später wird Benn eingestehen, dass „dieser 27-jährige“ die Situation richtiger beurteilt und die Entwicklung der Dinge vorausgesehen hatte, doch in jenem Moment erwiderte Benn, um eine seiner eigenen Formulierungen aus einem anderen Zusammenhang aufzunehmen, auf das freundliche Winken eines Handschuhs „mit etwas wie einer Nilpferdpeitsche“. Er verliest öffentlich im reichsdeutschen Rundfunk seine „Antwort an die literarischen Emigranten“ und bekennt sich zu seinem „Volk, das sich hier seinen Weg bahnt“: „Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neuaufbau eines Staates, dessen Glaube einzig, dessen Ernst erschütternd, dessen innere und äußere Lage so schwer ist, daß es Iliaden und Äneiden bedürfte, um sein Schicksal zu erzählen“. Manns Prophezeiung, dass ihm das Bekenntnis zu seinen neuen Freunden zuletzt Undank und Hohn einbringen würde, löst sich ein und schon 1934 wendet sich Benn ab oder er wird von den Kulturinstanzen der Nationalsozialisten abgelehnt und ausgesondert (halb zog sie ihn/ halb sank er hin/ und ward nie mehr gesehen) und beginnt seinen langen Weg in die, wie er sagt, „aristokratische Form der Emigration“, er tritt als Oberstabsarzt in die Wehrmacht ein.

Dieser Klaus Mann nun, der 1949 den Freitod wählen wird - aus Ungenügen an einer unvollkommenen Welt, wie es heißt - , bekennt '41, dass er die Zeilen Gottfried Benns nicht vergessen kann. Trotz allem.
Und ich kann ihn verstehen. Die ausgewählte Zeile gehört zu den wenigen, die einem nicht nur nicht mehr aus dem Kopf gehen, sondern zu denen, die ein Eigenleben beginnen. Es braucht nicht mehr als diese einzige Zeile, um eine Schwingung zu erzeugen, die trägt, die weiterführt.

Einsamer nie als im August...

Die Assoziationen purzeln, wenn man purzeln lässt und wer zudem die vergangenen Tage bewusst wahrgenommen hat, das letzte, todgeweihte Aufbäumen des Sommers, die erste wirkliche frische Kälte am Morgen, schneidend im Lufthauch, obwohl die Sonne scheint, spielt Ping-Pong mit Außen- und Innenwelt in seinem Kopf. Gedanken an Vorsorge und bad times to come, rainy days, an grau verhangenen Schieferhimmel, den Tod, das Alter und all die Sinnlosigkeit dieser Welt. Und das alles evoziert mit einer einzigen Zeile. Dagegen nimmt sich der Rest des Gedichtes fast banal und irgendwie altbacken, ja romantisch aus in seiner Konkretisierung, aber um der ersten Zeile willen und für Klaus Mann hier in voller Länge:


Einsamer nie –

Einsamer nie als im August:
Erfüllungsstunde – im Gelände
die roten und die goldenen Brände
doch wo ist deiner Gärten Lust?

Die Seen hell, die Himmel weich,
die Äcker rein und glänzend leise,
doch wo sind Sieg und Siegsbeweise
aus dem von dir vertretenen Reich?

Wo alles sich durch Glück beweist
und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im Weingeruch, im Rausch der Dinge -:
dienst du dem Gegenglück, dem Geist.

(Gottfried Benn)


Und? Ist die erste Zeile ist besser als das ganze Gedicht???



Little Janie's Gone


Janie's gone now and she won't be back no more
It was only yesterday I went knocking on her door
And now she's gone away
We won't see her no more
Little Janie's gone now Janie's gone now
Janie's gone now Janie's gone
Little Janie's gone now Janie's gone now
Janie's gone now Janie's gone
O yes she's gone away
O man, that's for sure
Little Janie's gone now Janie's gone now
Janie's gone away

Janie's gone. O people! O Lord! Little Janie's gone
She was the only one that we all could depend on
And now she's gone away
We won't see her round no more
Little Janie's gone now Janie's gone now
Janie's gone now Janie's gone
Little Janie's gone now Janie's gone now
Janie's gone now Janie's gone
Janie's gone away
Yes she's gone away
Oh yeah! That's for sure
Little Janie's gone now Janie's gone now
Janie's gone away

Janie's gone now and she won't be back no more
We'll have to find some other place to go and score
'Cause now she's gone, don't you see
They're gunna throw away the key
Little Janie's gone down Janie's gone down
Janie's gone down Janie's gone
Little Janie's gone down Janie's gone down
Janie's gone down Janie's gone

(Nick Cave)

;-)


Sonntag, 17. August 2008

Sternstunden der Literaturkritik

Ich werde weiterhin mit gutem Stoff versorgt und der soll sofort an den Mann gebracht werden. Heute muss mein lyrisch-intellektueller Leitstern dran glauben. Könnte mir fast vorstellen, daraus eine neue Rubrik zu machen: Sternstunden der Literaturkritik.

„Benn, Gottfried.
Versuchte sich in Veröffentlichungen von Dichtungen zuerst 1912: ‚Morgue und andere Gedichte’. B. hat eine merkwürdige Ansicht von Poesie und entnimmt die Stoffe mit perverser Lust dem Reiche des Hässlichen; da schlägt ein Leichendiener der ertrunkenen Dirne den Zahn mit der goldenen Füllung aus; denn da kann er mal ‚für tanzen’ ... und der Leser wird in die Lage versetzt, einer Reihe von Operationen oder Gängen beiwohnen zu können, deren Darstellung nicht einmal in der närrischen Zeit der naturalistischen Revolution der achtziger Jahre als Poesie empfunden wurde. Man darf deshalb, entgegen der Durchschnittskritik, Gottfried Benn die dichterische Begabung recht wohl absprechen; denn zu ihr gehört auch die Sicherheit des ästhetischen Empfindens, die Schamlosigkeit und Unflätigkeiten immer noch von naturalistischer Kunstübung zu unterscheiden vermag.“

(Max Geißler: Führer durch die Literatur des 20. Jahrhunderts. Weimar 1913.)


Kreislauf

Der einsame Backenzahn einer Dirne,
die unbekannt verstorben war,
trug eine Goldplombe.
Die übrigen waren wie auf stille Verabredung
ausgegangen.
Den schlug der Leichendiener sich heraus,
versetzte ihn und ging für tanzen.
Denn, sagte er,
nur Erde soll zu Erde werden.

(Gottfried Benn)


Und wenn wir schon bei der 'Morgue' sind, darf ein lieblich-zarter Gruß an Ophelien nicht ausbleiben:



Schöne Jugend

Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löchrig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest junger Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!

(Gottfried Benn)







Sonntag, 20. Juli 2008

in letzter zeit mal wieder in' spiegel geguckt ???



einstürzende neubauten - sabrina





eigentlich sollte das video aber nicht vom wirklich beachtenswürdigen text ablenken, genau so wenig wie von blixas schöner, tiefer erzählerstimme...

enjoy!



Dienstag, 15. Juli 2008

melancholia

passend zu den kommentaren zu "Was wir bräuchten, ein reinigendes Gewitter..." stelle ich das aufregendste bild ein, dass ich in den letzten jahren gesehen habe. eigentlich hätte es schon viel früher hier her gehört, doch mit der fragen nach handeln und wollen, erfolg und kellerloch paßt es ganz besonders gut:

jacek malczewski: melancholia







Sonntag, 6. Juli 2008

Was wir bräuchten, ein reinigendes Gewitter...

Was wir bräuchten, ein reinigendes Gewitter.
Ein leuchtendes Zucken in der stahlgrauen Decke und den erlösenden Schlag des folgenden Donners, Aufbruch der Schwüle und der immergleichen Fragen, Ausnahmezustand für eine Viertelstunde, spectaculum ad occulis.
Aber die Vögel zwitschern weiter und niemand sucht erwartungsvoll Deckung. Auch heute ist der Tag des Herrn noch nicht gekommen und die Bewegung auf allen Vieren, der beschwingte Kriechgang von uns Krüppeln und Sündern, wird weitergehen und voran(?)treiben.

Wuttke wird gerade zum Tatortkommissar und ich will nicht hinsehen. Es ist einer dieser verschissenen Sonntage, an denen ich nicht weiß, was ich will. Wenn man doch nur wissen könnte, was man wollen soll, was man wollen will. Ein Pendel ohne magnetischen Ausschlag, die Feldpfeile quälen sich von einem vagen inneren Zentrum aufgescheucht und wie ein unwilliger und trotziger Teenager gegängelt in alle Richtungen. Der all meine jugendlichen Ideale und Energien zerschmetternde Gedanke kommt in mir auf, dass ein zu großes Maß an Freiheit und Möglichkeiten in die Lethargie und die Unproduktivität, in die Fäulnis führt. Fettlebigkeit und Onanie. Äußerlicher wie geistiger Verfall und ich sehe einen Fettwanst im Bordell, wie er sich seinen kaum unter den Bauchringen hervorspitzenden Penis im Sitzen von einer peruanischen Nutte masturbieren lässt. Er grunzt als sich sein weiß-grünliches Ejakulat über ihre Hände ergießt und WELT WENDET SICH WEG (wie ich bei Heidegger las), obwohl das Seiende an dieser Stelle wahrlich nicht aufhört. Biologie setzt sich fort.

Dass der Mensch (und ich) die Knute braucht, dass er dann besser funktioniert, mehr leistet, aber sich auch selbst besser fühlt, weil er eine (sinnlose) Aufgabe, einen Tagesplan, Nöte und Termine hat, - ich sträube mich (pubertärer Weise) immer noch gegen diese Einsicht. Und wenn es doch wahr ist, nur ein weiterer wahrhaft triftiger Grund das Gesamtsystem, die Grundlagen des Lebens zu verabscheuen. Der Geist steht negativ zum Leben, habe ich gestern erst wieder sehr überzeugend dargelegt bekommen, und eigentlich wäre es nur folgerichtig, wenn unsere Spezies als der Vernunft fähig(?), alles daran setzte, alle technische Finesse und alle Intensität ihrer Durchsetzungskraft aufbrächte, diesen Ablauf in die Luft zu sprengen. Der Wunsch des Geistes, dass die Unterdrückung des Gedankens durch das Leben, seine ewige Beschränkung und Verhöhnung durch die Schranken des Materiellen, des biologisch und genetisch gegebenen, das tägliche An-der-Nase-herum-geführt-werden, gezuppelt und geschleift wie ein Tanzbär am im empfindlichen Fleisch versenkten Ring, dass diese ganze Farce einmal beendet werde – und zwar im großen Stil – ist ein Gedanke, der dieser Spezies alle Ehre macht.
Und wieder sehe ich Tausende kleine Mephistos, spitzbärtig und mit kleinen Brillen im scharfen Gesicht, aus den Zwischenräumen meiner Tastatur zu mir nach oben lugen.


Ist dieser Text nur Vogelgezwitscher, Ablenkungsmanöver, Sublimierung?
Ersatz für das, worüber man nicht reden kann?? Leuchtfeuer und Sepia?

Zum Abschluss etwas ganz anderes, was ich mir hab sagen lassen und was vielleicht genau so viel wiegt, oder gar in der Lächerlichkeit und Hilflosigkeit des davor gesagten noch viel schwerer:

„nothing else matters in this whole wide world/ when you’re in love with a Jersey girl”

(Tom Waits)






Mittwoch, 2. Juli 2008

Der erste Blogger

Etwas schreiben und es anschließend als schlecht erkennen ist eine der großen seelischen Tragödien. Und sie ist besonders groß, wenn man einsehen muß, daß dieses Werk das bestmögliche ist. Doch wenn man sich an ein Werk macht, im voraus wissend, daß es fehlerhaft und verfehlt sein wird, und beim Schreiben selbst sieht, daß dem auch so ist, so stellt dies den Gipfel geistiger Qual und Erniedrigung dar. Ich empfinde nicht nur die Verse, die ich augenblicklich schreibe, als nicht zufriedenstellend, sondern ich weiß auch, daß meine künftigen Verse mich ebensowenig zufriedenstellen werden. Dies verdanke ich einem philosophischen wie körperlichem Wissen, einer dunklen, gladiolengeschmückten Einsicht.

Warum also schreibe ich? Weil ich, der Prediger des Verzichts, noch nicht gelernt habe, ihn voll und ganz zu üben. Ich habe noch nicht gelernt, meiner Neigung zu Vers und Prosa zu entsagen. Ich muß schreiben, als müßte ich eine Strafe verbüßen. Und meine größte Strafe besteht im Wissen, daß, was immer ich schreibe, nichtig, verfehlt und ungewiß sein wird.

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares)


Dienstag, 1. Juli 2008

Was „vom feinsten und lustigsten Clown im ganzen Zirkus“


Schon seit längerer Zeit werde ich, was Tom Waits angeht, von einem echten Kenner und Feinschmecker versorgt und supported. Er hat mir ein paar Kostbarkeiten rausgesucht, die ich gerne teilen möchte...

Zuerst chocolate jesus:





Und dann was für die ‘bad days’:


cold cold ground


Sonntag, 22. Juni 2008

Das erste Sommergewitter

Das erste Sommergewitter. Es war so nötig! Die unerträgliche Hitze des Tages hinausgespült mit den Bächen schwarzen Regens der Nacht. Ein Biest hatte sich angekündigt in den bedrohlichen Wirbeln und Biegungen der Bäume, doch letztlich blieb es vor allem eine dunkle, reinigende, sanfte Flut. Ein Strom kühlenden Vergessens über den Dächern der Stadt (und der kurzzeitige Traum eines Neuanfanges).
Der Blick durch kleine Rauchschwaden, an den Fensterrahmen gelehnt, aus meinem Kleinbürgerleben hinaus in eine plätschernde Dunkelheit und das beruhigende/ befreiende Gefühl dieses ungleichen Rhythmus. Zeit gewinnen im Jetzt der schemenhaften und nur halbwahren Konturen. Morgen wird die Nässe vergangen sein und die grau-weißen Geister meiner Lemuren verlieren ihre Kraft. Die Unbarmherzigkeit des Lichts wird sie zurückverbannen, in die verschütteten, tiefen Regionen meiner eingebildeten Sehnsucht und, wir alle wissen, eigentlich bestehen sie nur aus zuviel Melatonin in meinem Blut. Die „guten“, die „nützlichen“ Botenstoffe räumen morgen wieder mit mir auf und erstellen eine kompakte biologisch-soziale Einheit, die auf Handlung orientiert ist, die weiter-kommen will/soll.

Hier bricht der Text ab, denn die Rinnsale säuseln noch und sie mögen die Flucht vor meinem morgigen Selbst möglichst weit mit sich tragen...


Donnerstag, 12. Juni 2008

den styx durchschwimmen

etwas ganz anderes vom alten schädeldecken-zersäger und syphilis-behandler gottfried benn:

"Kleines Abschiedslied an eine der seltsamsten und gefährlichsten Affären meines Lebens. Die Frau der „Blauen Stunde“, der Liebesstellen aus „Spät“, vieler Sätze aus den „Arien“, die Frau, die über den Sätzen von den Dämonen schwebt aus der Darmstädter Rede. Eine leere, ungebildete gemeine Person, die weder orthographisch schreiben, noch manierlich mit Messer u Gabel essen konnte, obschon sie Kellnerin in einem der elegantsten First-class-Etablissements des Westens hier ist. Keine sexuelle Hörigkeit von mir, das wäre ja harmlos und uninteressant; sondern eine unheimliche innere Verbundenheit, deren Quellen weit zurückreichen müssen in kaum erahnbares psychisches Magma, in eine von grauen Vorzeiten verschleierte Doppellung meines Gen, das ich liebte u hasste u. dem ich verfallen war. Sie betrog mich seit einem Jahr mit einem Käsehändler, der seine Wechsel nicht bezahlen konnte, die sie dann übernahm z T. mit Hilfe meines Geldes. Ich wusste das Alles. Brachte meine Ehe bis an die äußerste Grenze der Gefährdung, war mir gleich, war bereit zu Grunde zu gehen, aber der Käsehändler war stärker. Lange hagere grauhaarige Person, das Gesicht Pfeffer u Salz, die Unterhaltungen über Kleider und Geschäftsklatsch und Haarfrisuren: - Interessierte mich. War hingerissen und litt. Sie in Ihrem sicheren Leben u der Sie einmal schrieben, Sie hätten in Ihrem ganzen Leben nie geliebt, können das nicht verstehen und Sie müssen mich verachten, aber, lieber Herr Oelze, so ist das Leben, wenn man es ernst nimmt. Das sind die Zahlungen für Kunst und Ruhm. Jetzt ist es Gottseidank zu Ende, dem Hades entstiegen, wieder einmal den Styx durchschwommen – mit 65 Jahren – aber was hat man eigentlich sonst?"

(Gottfried Benn an Oelze 26.1.1952)

Ja, was hat man eigentlich sonst???
Obwohl ich sagen muss, dass ich zur Zeit einen tiefen Schluck Lethe vorziehen würde. Mnemosyne dagegen muß unerträglich sein... Falls ich vor die Wahl gestellt werde, bin ich schon jetzt entschieden!


Suzanne

diese strophe muss man sich noch ein mal gesondert und ganz in ruhe anschauen, so viel zeit muss sein:

And Jesus was a sailor
When he walked upon the water
And he spent a long time watching
From his lonely wooden tower
And when he knew for certain
Only drowning men could see him
He said "All men will be sailors then
Until the sea shall free them"
But he himself was broken
Long before the sky would open
Forsaken, almost human
He sank beneath your wisdom like a stone

(Leonard Cohen, Suzanne)

Freitag, 6. Juni 2008

mautz ... !


Das Kätzchen mautzt wieder und es hat die Krallen eingefahren.
Ein Idiot schaut in den fallenden Abend und träumt von dessen kleinem Köpfchen und dem weichen Fell in seinem Schoß

und verbietet es sich zugleich.

Und wenn es nicht schon tausende und wahrlich triftigere Gründe gäbe, die Existenz eines gütigen und allmächtigen Gottes zu leugnen,
diese Situation wäre einer.

Ich hätte große Lust mit Scheißen nach der Sonne zu schmeißen, wie es Nietzsche vorgeworfen worden ist, obwohl in jenem Zusammenhang vom „Kotwurf“ gesprochen wurde und den Elementen, die auf den Werfenden zurückfielen.

Nur der Mond bleibt heilig, der blasse Gast in den beruhigten Stunden, Leitstern der sich selbst Suchenden, für die der Tag nur brennende Strukturen offenbart und diesen dumpfen Schmerz, den man spürt, wenn man nach langer Zeit im abgedunkelten Zimmer in das grelle Sonnenlicht hinaustritt: Es zieht stark hinter der Schläfe und die Schritte geschehen in schemenhafter Blindheit. Zum Teufel mit Platos Höhlengleichnis – auch so eine faschistoid-religiöse Idee dahinter – lasst mir meinen Bunker, meine Zweifel, meinen Irrtum und gewinnt den abgeschmackten Tag für euch! Er ist wie geschaffen für Schieber, Heuchler, Winsler und die wirklichen Gewinner: die Dummköpfe par Excellenze. Benn: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.“ Wer nicht zu ihnen gehört, wird sich sein eigenes Kreuz immer und immer wieder alleine schaffen, und selbst noch an das Leid glauben, das er sich kreiert.


Donnerstag, 5. Juni 2008

Erkenntnis


Eigentlich müssten wir uns gegenseitig die Herzen herausreißen und sie einander ins Maul stopfen, bis wir daran ersticken.

Wären wir dann glücklich?





Die egoistische Maschine Mensch ist eben keine Maschine. Sie ist unberechenbar und selbst ihre psychologischen Schleifen und Zwangsstrukturen werden durcheinander gewirbelt und treten mal hier mal da, immer wieder unverhofft auf. Das einzige was sicher ist: planen, organisieren, absichern, hoffen macht überhaupt keinen Sinn. Du reitest einen Teufel, einen Idioten, einen liebenswürdigen Spinner und solch ein verletztliches Kind. Gleichzeitig einen Junky, der für die richtige Essenz im richtigen Moment alles tun wird, alles fahren läßt und auf den sich niemand verlassen kann, am wenigsten du selbst...

Und ob es Geistesblitze sind, die uns dabei leiten, Seeleneingebungen oder die Hormonströme, hier, jetzt, in meinem Blut - einerlei! Die Entscheidungsgewalt jenseits des Bewußtseins ist das entscheidende Element, das Gefühl der Ohnmacht, das sie auslöst, der sklavische Knebel der Unfreiheit.
Steig endlich in das schon so lange wartende Floß und lass dich flußabwärts treiben, schau nicht auf und nach vorn, schau auf dem Rücken liegend in das tiefe Blau des Himmels, sieh die Wolke und die Spitzen vorbeiziehender Bäume, den Flug der Vögel und spiele mit deinen Inhalten. Unterdrücke das schwindelnde und in Kreisen hinanspringende Gefühl der Angst, wenn du die Fahrt und das Wasser unter dir spürst, die Windungen und Felsen in spe - der Strom ist eh zu stark und zu schnell als das du mit hilflosem Paddeln die Richtung beeinflussen könntest. Nimm dir Zeit für einen weißen, letzten Traum, von einer Liebe und von einer Struktur, die mehr als dieses Leben und deine verwaisten Mosaike birgt.

Sonntag, 1. Juni 2008

Was übrig bleibt: eine Last von Scheitern


„Wir lebten etwas anderes, als wir waren, wir schrieben etwas anderes, als wir dachten, wir dachten etwas anderes, als wir erwarteten und was übrig bleibt, ist etwas anderes, als wir vorhatten.“ (Gottfried Benn)


„Ich habe weder Hoffnungen noch Sehnsüchte. Da ich weiß, was mein Leben bis heute war – so viele Male und in so vielem das Gegenteil dessen, was ich mir gewünscht hatte - , was kann ich da mutmaßen über mein morgiges Leben? Einzig daß es sein wird, was ich nicht vermute, was ich nicht will und was mir von außen zustößt, bisweilen selbst durch mein eigenes Zutun. [...] Ich war immer nur eine Spur, ein Trugbild meiner selbst. Meine Vergangenheit ist all das, was ich nicht zu sein vermochte.“ (Fernando Pessoa)


„VIELES ABER / WIE EINE LAST VON SCHEITERN IST / ZU BEHALTEN“ (Friedrich Hölderlin / Heiner Müller)


Was übrig bleibt: eine Last von Scheitern.


Sonntag, 25. Mai 2008

die große kunst


das ist die große kunst: finding somebody who pays you for your resultless thinking.


Rückblick Dez 07 - Jan 08 II


The kitten that padded and purred on my lap
Now swipes at my face with the paw of a bear
I turn the other cheek and you lay into that
O where do we go now but nowhere

(Nick Cave, Where do we go now but nowhere?)


Donnerstag, 22. Mai 2008

1977

um die ganze weite auszuloten und im kontrast: 1977

Leckerli


So, für alle, die sich so tapfer durch den Frühsommer-Text gekämpft haben, gibts heut abend mal wieder ein Leckerli: Mr. David Bowie!!







Wenn man nicht so genau auf die Lyrics hört, könnte man ja fast meinen, der Song wäre etwas zu beschwingt für diese Seite, aber er ist einfach groß. Der alte Mann im Anzug.

Die entscheidenden Zeilen gleich zu anfang:

And you
You can be mean
And I
I'll drink all the time
.

Is there more to say???

Montag, 19. Mai 2008

Frühsommer

Die letzten Wochen, jene Wochen des hereinbrechenden Frühsommers in Berlin, mit ihrem zartweichen Blau, mit ihrer ersten durchdringenden Wärme und dem überraschenden und so zauberhaften Gefühl der Befreiung, lassen mich im Rückblick hier verwundert stehn. Die überwältigende Schönheit dieser Momente verbunden mit der kindlichen Naivität überrascht zu sein, dass es so kommt, dass der Winter irgendwann endet, dass die Sonne wärmt und ein Gefühl der Zufriedenheit produzieren kann, ohne dass etwas weiteres passiert wäre, eben nur dadurch, dass sie strahlt und der Himmel Raum zu haben scheint. Eine ungewohnte Leichtigkeit stellt sich ein, der man sich kaum entziehen kann. Sie überkommt einen unbeschwert und ohne Anstrengung, ohne Nachdenken und Forcieren, sie ist da mit dem Licht und fragt nicht nach, ob sie bestellt worden wäre. Sie bedarf keiner Rechtfertigung.

„The smiles return to their faces“ und man meint kurzzeitig in einer anderen Stadt, in einer anderen Welt zu leben. Die Gesichter hellen auf und eine unangespannte Freundlichkeit breitet sich aus, über die man durchaus stutzig werden könnte. Man wird’s aber nicht, weil man es genießt. Die Röcke werden zum ersten Mal wieder rausgeholt, die Kleider enger, bunter und mit sichtbarem Zug zur Haut. Die Blicke verstoßen sich nicht, halten länger und die junge Dame auf dem Weg schaut gar zurück. Ich gebe zu, ich habe mir den Hals nicht nur vereinzelt verrenkt, die Verblüffung über erahnte weiche Brust, schwingende Bewegungen, gerundete Proportionen und die stilschweigende Zustimmung des Gegenüber war nicht nur verführerisch, sie war zwanghaft!
Und damit sind wir beim Thema: Die alte abgewrackte Menschheitsschau! sie findet in mir statt! sie explodiert in jeder Sekunde in meinem Kopf!! Sie zieht meine Sehnen, sie dreht meinen Kopf, sie hebt meine Stimmung. Die Unfreiheit der Reaktionen ist erniedrigend und das nicht nur bei mir, weil ich meinetwegen ein besonders übles Exemplar dieser Spezies wäre (was natürlich wiederum auch nicht ganz ausgeschlossen werden kann).
Es ist ein bisschen Sonne, ein wenig Freizügigkeit und fehlende Abweisung, die die Welt auf den Kopf stellt, alles verändert im Gleichen und in zwei Wochen verzogen sein wird.

Ich reagiere genau auf die zur Schau gestellten Körperteile, unterbewusst und danach mit einem Geschmacksurteil der ‚Schönheit’, des Außergewöhnlichen, Beeindruckenden, der Ver-/Bewunderung, das gedanklich nachzulegitimieren sucht. Und ich glaube nicht, dass meine Gegenüber in den meisten Fällen bewusster zur Schau stellen als ich erfreut zur Kenntnis nehme, als ich nachblicke und meinen Hundereflex vollführe. Propagation makes the world go round und unsere Zwänge sind wohl eingerichtet: „Brüder über'm Sternenzelt/ Muss ein lieber Vater wohnen“ – ganz bestimmt...

Die Frage ist nur, muss es für mich ein Problem darstellen, ein sabbernder Hund zu sein? Muss ich darunter leiden zu erkennen, dass ich unfrei bin und andere, tiefere Gewalten an meinen Strippen ziehen? Muss ich mich schämen, ein Teil der unten von Brinkmann beschriebenen, hässlichen Schau zu sein und nicht auszubrechen, nicht ausbrechen zu können? Nicht das ganze System oder mich selbst hochzujagen, weil gerade diese tiefen Impulse der Selbsterhaltung davon abhalten (vielleicht um im nächsten Sommer wieder für zwei Wochen einmal im Jahr zwanglos präsentierte Brustsilhouetten sehen zu können??).
Das einzige konsequente Verhalten gegen diese Zwänge, das völlige Verwehren der kreatürlichen Impulse, wie es bei den Einsiedlern und Gläubigen, den Fundamentalisten und Irren auftritt, könnte selbst wieder eine körperliche Disposition sein. Aus biologistischer Sicht natürlich eine fehlgeschlagene (Biologismus hat einen deutlichen Zug zum politisch Inkorrekten), da sie Fortpflanzung verhindert, aber ein Masochismus des Glaubens an bestimmte Werte/ Ideale ist mir durchaus in einer Erklärung des hormonell gesteuerten Gefallens denkbar.

Ist es ein falsches Menschenbild, dass ich trage und das mir in der Konfrontation mit der von mir so wahrgenommenen ‚Realität’ Schmerzen bereitet und den Gedanken an Ungenügen und Überdruss aufkommen lässt? An Ekel? Ein Glauben an längst widerlegte Bestimmungen und Fähigkeiten dieses Wesens Mensch? Und an seinen Abklatsch Ich?

Ich weiß es nicht, aber mir scheint, die innere Rebellion, zumindest das Aufzeigen, dass man diese Strukturen zur Kenntnis genommen hat, dass man sie nicht akzeptiert, auch wenn man ihnen ausgeliefert ist, als eine halbwegs ‚würdige’, angebrachte Verhaltensweise. Sie ändert nichts, sie hebt auch nicht das Selbstwertgefühl, aber sie scheint eine Variante, ein Aufschieben, ein Zeitgewinn für einen (manchmal) denkenden Menschen.

„Die einzige eines höheren Menschen würdige Einstellung ist das beharrliche Festhalten an einer Tätigkeit, die er als nutzlos erkennt, das Unterwerfen unter eine Disziplin, von der er weiß, daß sie fruchtlos ist, und das rigorose Anwenden philosophischer und metaphysischer Denknormen, deren Bedeutungslosigkeit er erkannt hat“.

(Fernando Pessoa)

GESTERN HABE ICH ANGEFANGEN ...


GESTERN HABE ICH ANGEFANGEN

Dich zu töten mein Herz
Jetzt liebe ich
Deinen Leichnam
Wenn ich tot bin
Wird mein Staub nach dir schrein

(Heiner Müller)

ich bin schon lange damit beschäftigt, dich zu töten, aber es mag und mag nicht gelingen. das herz ist ein geräumiger friedhof, wie müller sagt, aber die verwesenden wandeln umher und spucken mir ins gesicht. wer lässt sich schon gern zu grabe tragen und gar ohne aufstand? meine toten wollen sich nicht ergeben und einen gewissen stolz darüber und auf sie selbst kann ich nicht verhehlen. leben ist kampf und warum sollte der tod eine ausnahme darstellen? der kampf mit den toten, den abwesenden, den in deinen gehirnwindungen nicht schnell genug zerfallenden und denen, die aus deinem blut nicht wegzudenken sind. du bist eine ansammlung aus gestern, die sich in deinen zellen manifestiert und dir die immer wiederkehrenden zirkel vorschreibt, jeweils aufs neue begangen in der illusionären hoffnung einer (er)lösung.