Sonntag, 6. Juli 2008

Was wir bräuchten, ein reinigendes Gewitter...

Was wir bräuchten, ein reinigendes Gewitter.
Ein leuchtendes Zucken in der stahlgrauen Decke und den erlösenden Schlag des folgenden Donners, Aufbruch der Schwüle und der immergleichen Fragen, Ausnahmezustand für eine Viertelstunde, spectaculum ad occulis.
Aber die Vögel zwitschern weiter und niemand sucht erwartungsvoll Deckung. Auch heute ist der Tag des Herrn noch nicht gekommen und die Bewegung auf allen Vieren, der beschwingte Kriechgang von uns Krüppeln und Sündern, wird weitergehen und voran(?)treiben.

Wuttke wird gerade zum Tatortkommissar und ich will nicht hinsehen. Es ist einer dieser verschissenen Sonntage, an denen ich nicht weiß, was ich will. Wenn man doch nur wissen könnte, was man wollen soll, was man wollen will. Ein Pendel ohne magnetischen Ausschlag, die Feldpfeile quälen sich von einem vagen inneren Zentrum aufgescheucht und wie ein unwilliger und trotziger Teenager gegängelt in alle Richtungen. Der all meine jugendlichen Ideale und Energien zerschmetternde Gedanke kommt in mir auf, dass ein zu großes Maß an Freiheit und Möglichkeiten in die Lethargie und die Unproduktivität, in die Fäulnis führt. Fettlebigkeit und Onanie. Äußerlicher wie geistiger Verfall und ich sehe einen Fettwanst im Bordell, wie er sich seinen kaum unter den Bauchringen hervorspitzenden Penis im Sitzen von einer peruanischen Nutte masturbieren lässt. Er grunzt als sich sein weiß-grünliches Ejakulat über ihre Hände ergießt und WELT WENDET SICH WEG (wie ich bei Heidegger las), obwohl das Seiende an dieser Stelle wahrlich nicht aufhört. Biologie setzt sich fort.

Dass der Mensch (und ich) die Knute braucht, dass er dann besser funktioniert, mehr leistet, aber sich auch selbst besser fühlt, weil er eine (sinnlose) Aufgabe, einen Tagesplan, Nöte und Termine hat, - ich sträube mich (pubertärer Weise) immer noch gegen diese Einsicht. Und wenn es doch wahr ist, nur ein weiterer wahrhaft triftiger Grund das Gesamtsystem, die Grundlagen des Lebens zu verabscheuen. Der Geist steht negativ zum Leben, habe ich gestern erst wieder sehr überzeugend dargelegt bekommen, und eigentlich wäre es nur folgerichtig, wenn unsere Spezies als der Vernunft fähig(?), alles daran setzte, alle technische Finesse und alle Intensität ihrer Durchsetzungskraft aufbrächte, diesen Ablauf in die Luft zu sprengen. Der Wunsch des Geistes, dass die Unterdrückung des Gedankens durch das Leben, seine ewige Beschränkung und Verhöhnung durch die Schranken des Materiellen, des biologisch und genetisch gegebenen, das tägliche An-der-Nase-herum-geführt-werden, gezuppelt und geschleift wie ein Tanzbär am im empfindlichen Fleisch versenkten Ring, dass diese ganze Farce einmal beendet werde – und zwar im großen Stil – ist ein Gedanke, der dieser Spezies alle Ehre macht.
Und wieder sehe ich Tausende kleine Mephistos, spitzbärtig und mit kleinen Brillen im scharfen Gesicht, aus den Zwischenräumen meiner Tastatur zu mir nach oben lugen.


Ist dieser Text nur Vogelgezwitscher, Ablenkungsmanöver, Sublimierung?
Ersatz für das, worüber man nicht reden kann?? Leuchtfeuer und Sepia?

Zum Abschluss etwas ganz anderes, was ich mir hab sagen lassen und was vielleicht genau so viel wiegt, oder gar in der Lächerlichkeit und Hilflosigkeit des davor gesagten noch viel schwerer:

„nothing else matters in this whole wide world/ when you’re in love with a Jersey girl”

(Tom Waits)






5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"...alle unmittelbaren und alle Tatmenschen sind ja nur tätig, weil sie stumpfsinnig und beschränkt sind. Wie sich das erklären läßt? Folgendermaßen: Infolge ihrer Beschränktheit nehmen sie die augenscheinlichen und zweitrangigen Ursachen für die primären und lassen sich auf diese Weise rascher und leichter als die anderen überzeugen, daß sie einen unanfechtbaren Grund für ihre Tätigkeit gefunden haben; damit geben sie sich zufrieden, und das ist die Hauptsache. Denn, um eine Tätigkeit zu beginnen, muß man restlos beruhigt und aller Zweifel enthoben sein. Nun, wie soll zum Beispiel ich mich beruhigen? Wo sind meine primären Gründe, auf die ich mich stützen kann, wo meine Ursachen? Woher nehme ich sie? Ich übe mich im Denken, folglich zieht bei mir jeder primäre Grund einen anderen nach sich, der noch primärer ist, und so geht es weiter ins Endlose."
(Fjodor Dostojewskij, Aufzeichnungen aus dem Kellerloch)

AEM hat gesagt…

eine rechtfertigung des zweifels und des nicht-handelns, die mir wohl sympathisch ist. man könnte direkt so eine art selbstwertgefühl darauf aufbauen, man müßte dafür nur das "kellerloch" aus dem titel als konsequenz dieser haltung entweder akzeptieren, oder ausblenden...

vielleicht hilft an dieser stelle der alte benn etwas weiter. er spricht in der folgenden passage zwar über dichter im besonderen und über herausragende wohl noch dazu, aber ich denke, man kann die frage durchaus auch auf einen teil der intellektuellen geister an sich und definitiv auch auf die gescheiterten anwenden:

„Also, was sind sie? Sonderlinge, Einzimmerbewohner, sie geben die Existenz auf, um zu existieren, gleichgültig, ob die anderen ein Gedicht als eine Geschichte von Nichtgeschehenem und Meisterschaft als Egoismus bezeichnen. Eigentlich sind sie nur Erscheinungen, und sind diese Erscheinungen dann tot, und man nimmt sie vom Kreuz, muß man ehrlicherweise zugeben, daß sie sich selber an dieses Kreuz geschlagen haben – was zwang sie dazu? Etwas muß sie doch gezwungen haben.“ (SW6, S. 29, Probleme der Lyrik)

dieser unergründliche(?) zwang sich selbst ans kreuz zu nageln, der ist das mysterium. immer wieder weiterdenken zu müssen, alles kritisch zu zersetzen, immer wieder in die gleichen schleifen/ handlungen/ problemstellungen gezwungen zu werden, von denen man weiß, dass sie einen nicht/kaum weiterbringen – zumindest was das ‚gesellschaftliche leben’ angeht oder eine 'lösung' und es trotzdem in kauf zu nehmen oder eben nicht anders zu können. sollte hier wirklich ‚zwang’ vorliegen, also keine echte wahl bestehen, könnte man kein verdienst, keine heroische position und demnach kaum ein gesteigertes selbstwertgefühl daraus ableiten. ich bin in dieser frage aber unentschlossen, obwohl ich ja zu deterministischen annahmen neige. Für jede anregung aber äußerst dankbar...

AEM hat gesagt…

die lektüre meiner gestrigen nacht, für und gegen dostojewskij:

„Die Regierung der Welt beginnt in uns selbst. Nicht die Aufrichtigen regieren die Welt, doch auch nicht die Unaufrichtigen. Sondern jene, die in sich echte Aufrichtigkeit mit künstlichen und automatischen Mitteln erzeugen; diese Aufrichtigkeit macht sie stark und strahlt auf die weniger falsche Aufrichtigkeit der anderen aus. Die Fähigkeit zum wirksamen Selbstbetrug ist Grundvoraussetzung, um Politiker zu werden. Nur Dichter und Philosophen sind befugt, die Welt zu sehen, wie sie ist, denn allein sie vermögen ohne Illusionen zu leben. Deutlich sehen heißt nicht handeln.“ (Pessoa, Unruhe)

ob dichter und philosophen die welt wirklich sehen, ‚wie sie ist’, sei dahingestellt, der rest ist schlagend! und: nicht nur um politiker zu werden, ist wirksamer selbstbetrug eine notwendigkeit, ich würde sagen, jede art von erfolg, fast jede art von aktion an sich, setzt die mit mehr oder weniger künstlichen mitteln herbeigeführte überzeugung einer sinnvollen, wertvollen tätigkeit voraus. dass jene setzungen tendenziell willkürlich sind oder biologisch determiniert, scheint mir auf der hand zu liegen.

AEM hat gesagt…

ich frage mich, aus meinem kellerloch heraus, wie ich ein mal 'deutscher meister' im wirsingkohl-wettfressen werden konnte??? was für jahre des selbstbetrugs müssen das gewesen sein, rätsele ich jetzt, tägliches training mit den fettwanstigen oberwärtern und immer/meistens präsent die überzeugung, warum es sich 'lohnen' würde, warum es 'gut' sei, sich mit 4 kilo kohl am tag vollzustopfen für die medaille am jahresende. aber dafür stand ich ein mal ganz oben, der erste knopf meiner hose schoß durch die zuschauerreihen, als ich den letzten löffel kohl mit den händen von oben nachstopfen mußte, doch dann war es geschafft! ein befreiender rülpser explodierte hinter meinen vorderzähnen und verbreitete in windeseile den kümmelig-sauren duft meines sportgerätes, doch seine schallwellen gingen unter im jubel der menge and glory was mine!

jetzt sitze ich tag für tag in meinem hirngefängnisloch, umringt von fässern mit eingelegtem sauerkraut, gepeinigt vom applaus meines ruhmes und nicht in der lage mehr einen meter zu gehen. ich könnte, physikalisch, doch ich will nicht, ich weiß nicht wieso und wofür...

gestern sah ich brando in seinen letzten tagen. ich will so ein sauerstoffgerät wie er, ein vorhang kräuselt sich leicht im sommerwind, und den blick hinaus auf eine sandgelbe terasse. er redete viel mit tieren übers telefon, zum schluss, wurde gesagt, und auch ich will nur noch mit meinen lieben reden. bringt mir meine katze!

AEM hat gesagt…

"Alles Handeln, sei es im Krieg, sei es im Denken, ist falsch; und jeder Verzicht ist ebenso falsch. Wüßte ich doch, wie man weder handelt noch auf das Handeln verzichtet! Dies wäre die Traumkrone meines Ruhmes, das Schweigezepter meiner Größe." (Pessoa, Unruhe)