Sonntag, 22. Juni 2008

Das erste Sommergewitter

Das erste Sommergewitter. Es war so nötig! Die unerträgliche Hitze des Tages hinausgespült mit den Bächen schwarzen Regens der Nacht. Ein Biest hatte sich angekündigt in den bedrohlichen Wirbeln und Biegungen der Bäume, doch letztlich blieb es vor allem eine dunkle, reinigende, sanfte Flut. Ein Strom kühlenden Vergessens über den Dächern der Stadt (und der kurzzeitige Traum eines Neuanfanges).
Der Blick durch kleine Rauchschwaden, an den Fensterrahmen gelehnt, aus meinem Kleinbürgerleben hinaus in eine plätschernde Dunkelheit und das beruhigende/ befreiende Gefühl dieses ungleichen Rhythmus. Zeit gewinnen im Jetzt der schemenhaften und nur halbwahren Konturen. Morgen wird die Nässe vergangen sein und die grau-weißen Geister meiner Lemuren verlieren ihre Kraft. Die Unbarmherzigkeit des Lichts wird sie zurückverbannen, in die verschütteten, tiefen Regionen meiner eingebildeten Sehnsucht und, wir alle wissen, eigentlich bestehen sie nur aus zuviel Melatonin in meinem Blut. Die „guten“, die „nützlichen“ Botenstoffe räumen morgen wieder mit mir auf und erstellen eine kompakte biologisch-soziale Einheit, die auf Handlung orientiert ist, die weiter-kommen will/soll.

Hier bricht der Text ab, denn die Rinnsale säuseln noch und sie mögen die Flucht vor meinem morgigen Selbst möglichst weit mit sich tragen...


Donnerstag, 12. Juni 2008

den styx durchschwimmen

etwas ganz anderes vom alten schädeldecken-zersäger und syphilis-behandler gottfried benn:

"Kleines Abschiedslied an eine der seltsamsten und gefährlichsten Affären meines Lebens. Die Frau der „Blauen Stunde“, der Liebesstellen aus „Spät“, vieler Sätze aus den „Arien“, die Frau, die über den Sätzen von den Dämonen schwebt aus der Darmstädter Rede. Eine leere, ungebildete gemeine Person, die weder orthographisch schreiben, noch manierlich mit Messer u Gabel essen konnte, obschon sie Kellnerin in einem der elegantsten First-class-Etablissements des Westens hier ist. Keine sexuelle Hörigkeit von mir, das wäre ja harmlos und uninteressant; sondern eine unheimliche innere Verbundenheit, deren Quellen weit zurückreichen müssen in kaum erahnbares psychisches Magma, in eine von grauen Vorzeiten verschleierte Doppellung meines Gen, das ich liebte u hasste u. dem ich verfallen war. Sie betrog mich seit einem Jahr mit einem Käsehändler, der seine Wechsel nicht bezahlen konnte, die sie dann übernahm z T. mit Hilfe meines Geldes. Ich wusste das Alles. Brachte meine Ehe bis an die äußerste Grenze der Gefährdung, war mir gleich, war bereit zu Grunde zu gehen, aber der Käsehändler war stärker. Lange hagere grauhaarige Person, das Gesicht Pfeffer u Salz, die Unterhaltungen über Kleider und Geschäftsklatsch und Haarfrisuren: - Interessierte mich. War hingerissen und litt. Sie in Ihrem sicheren Leben u der Sie einmal schrieben, Sie hätten in Ihrem ganzen Leben nie geliebt, können das nicht verstehen und Sie müssen mich verachten, aber, lieber Herr Oelze, so ist das Leben, wenn man es ernst nimmt. Das sind die Zahlungen für Kunst und Ruhm. Jetzt ist es Gottseidank zu Ende, dem Hades entstiegen, wieder einmal den Styx durchschwommen – mit 65 Jahren – aber was hat man eigentlich sonst?"

(Gottfried Benn an Oelze 26.1.1952)

Ja, was hat man eigentlich sonst???
Obwohl ich sagen muss, dass ich zur Zeit einen tiefen Schluck Lethe vorziehen würde. Mnemosyne dagegen muß unerträglich sein... Falls ich vor die Wahl gestellt werde, bin ich schon jetzt entschieden!


Suzanne

diese strophe muss man sich noch ein mal gesondert und ganz in ruhe anschauen, so viel zeit muss sein:

And Jesus was a sailor
When he walked upon the water
And he spent a long time watching
From his lonely wooden tower
And when he knew for certain
Only drowning men could see him
He said "All men will be sailors then
Until the sea shall free them"
But he himself was broken
Long before the sky would open
Forsaken, almost human
He sank beneath your wisdom like a stone

(Leonard Cohen, Suzanne)

Freitag, 6. Juni 2008

mautz ... !


Das Kätzchen mautzt wieder und es hat die Krallen eingefahren.
Ein Idiot schaut in den fallenden Abend und träumt von dessen kleinem Köpfchen und dem weichen Fell in seinem Schoß

und verbietet es sich zugleich.

Und wenn es nicht schon tausende und wahrlich triftigere Gründe gäbe, die Existenz eines gütigen und allmächtigen Gottes zu leugnen,
diese Situation wäre einer.

Ich hätte große Lust mit Scheißen nach der Sonne zu schmeißen, wie es Nietzsche vorgeworfen worden ist, obwohl in jenem Zusammenhang vom „Kotwurf“ gesprochen wurde und den Elementen, die auf den Werfenden zurückfielen.

Nur der Mond bleibt heilig, der blasse Gast in den beruhigten Stunden, Leitstern der sich selbst Suchenden, für die der Tag nur brennende Strukturen offenbart und diesen dumpfen Schmerz, den man spürt, wenn man nach langer Zeit im abgedunkelten Zimmer in das grelle Sonnenlicht hinaustritt: Es zieht stark hinter der Schläfe und die Schritte geschehen in schemenhafter Blindheit. Zum Teufel mit Platos Höhlengleichnis – auch so eine faschistoid-religiöse Idee dahinter – lasst mir meinen Bunker, meine Zweifel, meinen Irrtum und gewinnt den abgeschmackten Tag für euch! Er ist wie geschaffen für Schieber, Heuchler, Winsler und die wirklichen Gewinner: die Dummköpfe par Excellenze. Benn: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.“ Wer nicht zu ihnen gehört, wird sich sein eigenes Kreuz immer und immer wieder alleine schaffen, und selbst noch an das Leid glauben, das er sich kreiert.


Donnerstag, 5. Juni 2008

Erkenntnis


Eigentlich müssten wir uns gegenseitig die Herzen herausreißen und sie einander ins Maul stopfen, bis wir daran ersticken.

Wären wir dann glücklich?





Die egoistische Maschine Mensch ist eben keine Maschine. Sie ist unberechenbar und selbst ihre psychologischen Schleifen und Zwangsstrukturen werden durcheinander gewirbelt und treten mal hier mal da, immer wieder unverhofft auf. Das einzige was sicher ist: planen, organisieren, absichern, hoffen macht überhaupt keinen Sinn. Du reitest einen Teufel, einen Idioten, einen liebenswürdigen Spinner und solch ein verletztliches Kind. Gleichzeitig einen Junky, der für die richtige Essenz im richtigen Moment alles tun wird, alles fahren läßt und auf den sich niemand verlassen kann, am wenigsten du selbst...

Und ob es Geistesblitze sind, die uns dabei leiten, Seeleneingebungen oder die Hormonströme, hier, jetzt, in meinem Blut - einerlei! Die Entscheidungsgewalt jenseits des Bewußtseins ist das entscheidende Element, das Gefühl der Ohnmacht, das sie auslöst, der sklavische Knebel der Unfreiheit.
Steig endlich in das schon so lange wartende Floß und lass dich flußabwärts treiben, schau nicht auf und nach vorn, schau auf dem Rücken liegend in das tiefe Blau des Himmels, sieh die Wolke und die Spitzen vorbeiziehender Bäume, den Flug der Vögel und spiele mit deinen Inhalten. Unterdrücke das schwindelnde und in Kreisen hinanspringende Gefühl der Angst, wenn du die Fahrt und das Wasser unter dir spürst, die Windungen und Felsen in spe - der Strom ist eh zu stark und zu schnell als das du mit hilflosem Paddeln die Richtung beeinflussen könntest. Nimm dir Zeit für einen weißen, letzten Traum, von einer Liebe und von einer Struktur, die mehr als dieses Leben und deine verwaisten Mosaike birgt.

Sonntag, 1. Juni 2008

Was übrig bleibt: eine Last von Scheitern


„Wir lebten etwas anderes, als wir waren, wir schrieben etwas anderes, als wir dachten, wir dachten etwas anderes, als wir erwarteten und was übrig bleibt, ist etwas anderes, als wir vorhatten.“ (Gottfried Benn)


„Ich habe weder Hoffnungen noch Sehnsüchte. Da ich weiß, was mein Leben bis heute war – so viele Male und in so vielem das Gegenteil dessen, was ich mir gewünscht hatte - , was kann ich da mutmaßen über mein morgiges Leben? Einzig daß es sein wird, was ich nicht vermute, was ich nicht will und was mir von außen zustößt, bisweilen selbst durch mein eigenes Zutun. [...] Ich war immer nur eine Spur, ein Trugbild meiner selbst. Meine Vergangenheit ist all das, was ich nicht zu sein vermochte.“ (Fernando Pessoa)


„VIELES ABER / WIE EINE LAST VON SCHEITERN IST / ZU BEHALTEN“ (Friedrich Hölderlin / Heiner Müller)


Was übrig bleibt: eine Last von Scheitern.