Samstag, 30. August 2008

Einsamer nie –


Am 10.8.1941 notiert Klaus Mann in sein Tagebuch:
„Die Zeile von Gottfried Benn will mir – trotz allem – nicht aus dem Sinn: >Einsamer nie als im August [...]<“.

Dieses Statement hat durchaus einen schwerwiegenden Charakter. Klaus Mann ist derjenige, viel jüngere Literat, der Benn sehr bewunderte und ihn frühzeitig warnend auf seinen Zug zum Irrationalen und tendenziell Faschistischen hinwies als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen. In seinem Brief aus dem französischen Exil vom 9.5.1933 hatte er mit Geschick und Diplomatie, aber besonders mit spürbarer, ungespielter persönlicher Anteilnahme versucht, den in Deutschland verbliebenen und mit den Nazis kooperierenden zu einem Umdenken zu bewegen. 17 Jahre später wird Benn eingestehen, dass „dieser 27-jährige“ die Situation richtiger beurteilt und die Entwicklung der Dinge vorausgesehen hatte, doch in jenem Moment erwiderte Benn, um eine seiner eigenen Formulierungen aus einem anderen Zusammenhang aufzunehmen, auf das freundliche Winken eines Handschuhs „mit etwas wie einer Nilpferdpeitsche“. Er verliest öffentlich im reichsdeutschen Rundfunk seine „Antwort an die literarischen Emigranten“ und bekennt sich zu seinem „Volk, das sich hier seinen Weg bahnt“: „Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neuaufbau eines Staates, dessen Glaube einzig, dessen Ernst erschütternd, dessen innere und äußere Lage so schwer ist, daß es Iliaden und Äneiden bedürfte, um sein Schicksal zu erzählen“. Manns Prophezeiung, dass ihm das Bekenntnis zu seinen neuen Freunden zuletzt Undank und Hohn einbringen würde, löst sich ein und schon 1934 wendet sich Benn ab oder er wird von den Kulturinstanzen der Nationalsozialisten abgelehnt und ausgesondert (halb zog sie ihn/ halb sank er hin/ und ward nie mehr gesehen) und beginnt seinen langen Weg in die, wie er sagt, „aristokratische Form der Emigration“, er tritt als Oberstabsarzt in die Wehrmacht ein.

Dieser Klaus Mann nun, der 1949 den Freitod wählen wird - aus Ungenügen an einer unvollkommenen Welt, wie es heißt - , bekennt '41, dass er die Zeilen Gottfried Benns nicht vergessen kann. Trotz allem.
Und ich kann ihn verstehen. Die ausgewählte Zeile gehört zu den wenigen, die einem nicht nur nicht mehr aus dem Kopf gehen, sondern zu denen, die ein Eigenleben beginnen. Es braucht nicht mehr als diese einzige Zeile, um eine Schwingung zu erzeugen, die trägt, die weiterführt.

Einsamer nie als im August...

Die Assoziationen purzeln, wenn man purzeln lässt und wer zudem die vergangenen Tage bewusst wahrgenommen hat, das letzte, todgeweihte Aufbäumen des Sommers, die erste wirkliche frische Kälte am Morgen, schneidend im Lufthauch, obwohl die Sonne scheint, spielt Ping-Pong mit Außen- und Innenwelt in seinem Kopf. Gedanken an Vorsorge und bad times to come, rainy days, an grau verhangenen Schieferhimmel, den Tod, das Alter und all die Sinnlosigkeit dieser Welt. Und das alles evoziert mit einer einzigen Zeile. Dagegen nimmt sich der Rest des Gedichtes fast banal und irgendwie altbacken, ja romantisch aus in seiner Konkretisierung, aber um der ersten Zeile willen und für Klaus Mann hier in voller Länge:


Einsamer nie –

Einsamer nie als im August:
Erfüllungsstunde – im Gelände
die roten und die goldenen Brände
doch wo ist deiner Gärten Lust?

Die Seen hell, die Himmel weich,
die Äcker rein und glänzend leise,
doch wo sind Sieg und Siegsbeweise
aus dem von dir vertretenen Reich?

Wo alles sich durch Glück beweist
und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im Weingeruch, im Rausch der Dinge -:
dienst du dem Gegenglück, dem Geist.

(Gottfried Benn)


Und? Ist die erste Zeile ist besser als das ganze Gedicht???



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