Sonntag, 17. August 2008

Sternstunden der Literaturkritik

Ich werde weiterhin mit gutem Stoff versorgt und der soll sofort an den Mann gebracht werden. Heute muss mein lyrisch-intellektueller Leitstern dran glauben. Könnte mir fast vorstellen, daraus eine neue Rubrik zu machen: Sternstunden der Literaturkritik.

„Benn, Gottfried.
Versuchte sich in Veröffentlichungen von Dichtungen zuerst 1912: ‚Morgue und andere Gedichte’. B. hat eine merkwürdige Ansicht von Poesie und entnimmt die Stoffe mit perverser Lust dem Reiche des Hässlichen; da schlägt ein Leichendiener der ertrunkenen Dirne den Zahn mit der goldenen Füllung aus; denn da kann er mal ‚für tanzen’ ... und der Leser wird in die Lage versetzt, einer Reihe von Operationen oder Gängen beiwohnen zu können, deren Darstellung nicht einmal in der närrischen Zeit der naturalistischen Revolution der achtziger Jahre als Poesie empfunden wurde. Man darf deshalb, entgegen der Durchschnittskritik, Gottfried Benn die dichterische Begabung recht wohl absprechen; denn zu ihr gehört auch die Sicherheit des ästhetischen Empfindens, die Schamlosigkeit und Unflätigkeiten immer noch von naturalistischer Kunstübung zu unterscheiden vermag.“

(Max Geißler: Führer durch die Literatur des 20. Jahrhunderts. Weimar 1913.)


Kreislauf

Der einsame Backenzahn einer Dirne,
die unbekannt verstorben war,
trug eine Goldplombe.
Die übrigen waren wie auf stille Verabredung
ausgegangen.
Den schlug der Leichendiener sich heraus,
versetzte ihn und ging für tanzen.
Denn, sagte er,
nur Erde soll zu Erde werden.

(Gottfried Benn)


Und wenn wir schon bei der 'Morgue' sind, darf ein lieblich-zarter Gruß an Ophelien nicht ausbleiben:



Schöne Jugend

Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löchrig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest junger Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!

(Gottfried Benn)







3 Kommentare:

Wolfwendy hat gesagt…

besonders das zweite bekommt ein "uff!". danke fürs ausfmerksam machen.
ich hoffe, hier wirds bald wieder aktiver - ich lese gern mit.

AEM hat gesagt…

freut mich, dass du öfter mal bei mir reinschaust. wie bist du eigentlich auf meine seite gekommen??

zur zeit hab ich ne menge stress, deswegen siehts leider auch so leer aus, aber ich hoffe, ab mitte september wirds wieder besser...

Wolfwendy hat gesagt…

abonniert bist du, mir entgeht nichts. außer, ich bin auch im stress, wie die tage.

wie ich hier her gekommen bin? durch die blog-suche wahrscheinlich, aber was ich da eingegeben haben könnte - ich weiß nicht.

freut mich, dass die leere nur aus zeitnot entsteht - ich dachte schon, hier wäre jemand müde geworden.