Sonntag, 6. April 2008

Liao Yiwu


Ich habe letztens ein interessantes Interview gesehen. Es kam auf cnn und wurde geführt mit einem chinesischen Dichter und Musiker: Liao Yiwu. Dieser Mann wurde in Shanghai von einem Reporter befragt, da er noch immer nicht ausreisen darf und seine Schriften weiterhin in China nicht publiziert werden dürfen. Er hatte sich systemkritisch geäußert und jenes besonders im Rahmen der Unruhen um das Tian'anmen-Massaker 1989. Daraufhin ist er für 4 Jahre inhaftiert worden, wurde unter Einzelhaft gehalten, misshandelt, unternahm in Haft 2 Selbstmordversuche. Später wurde er noch einmal für die unerlaubte Publikation seiner und anderer Schriften der 70er Jahre verhaftet.

Beeindrucken für mich war der Kern der Weltsicht, die Yiwu wiederholt in seine Antworten einflocht, besonders wenn der Reporter auf die Entbehrungen und Leiden abzielte, die er zu ertragen hat und hatte (sein Publikationsverbot, die Jahre und Erniedrigungen im Gefängnis und ein rather unpolitisches China – nur noch auf money making und materielle Werte versessen – nach dem Yiwu für dieses Land und einen demokratischen Wandel alles riskiert hatte, eingesperrt war und nun möglicherweise undankbar vergessen nur noch beiseite steht).

Yiwu antwortete, dass er diese Schläge und Schwierigkeiten, diese obstacles in seinem Weg, in chinesischer Tradition und Denkweise mit seinem Glauben an die Macht des Schicksals trage. Dieses Schicksal (fate) sei die entscheidende und vom Menschen nicht zu beeinflussende letzte Größe. Ihm müsse man sich überantworten und das eigene Handeln sei nur Improvisieren mit sehr beschränkten Möglichkeiten. Dies bedeute nicht, dass er für seine Ziele nicht kämpfe – das würde er ausdrücklich tun – aber es würde den gegebenen Spielraum kennzeichnen und die vielfältigen und nur teilweise sichtbaren Unfreiheiten, von denen unser Tun und unser Gelingen oder Verderben abhängt.

Wenn es für den asiatischen Raum nicht eine unpassende Bezeichnung sein sollte, da in ihr unweigerlich die religiös-christliche Dimension mitschwingt (zuminderst in meinen Ohren), könnte man in diesem Zusammenhang durchaus von einer Haltung der Demut sprechen. Demut vor der Erkenntnis, wie gering die Einflussmöglichkeiten auf unser Handeln, unser Schicksal eigentlich sind und bescheidene Dankbarkeit vor dem Glück, das man hat, wenn man die Schwierigkeiten und grausamen Schicksale bedenkt, die einem auch hätten zuteil werden können oder die es vielleicht noch werden. Mehrmals betonte Yiwu die eigene Zufriedenheit über sein Leben und seine Dankbarkeit darüber, dass seine Werke im Ausland erscheinen und dass er auch innerhalb Chinas die Gelegenheit bekommt, im Untergrund seine Dichtung erscheinen zu lassen oder Konzerte zu geben und somit sein Werk zu verbreiten. Über das unglaubliche Glück in einer Zeit geboren zu sein, da solche Äußerungen und Bestrebungen auf Ausdruck und Freiheit überhaupt möglich wären, im Gegensatz zu den Jahren der Mao-Diktatur, in denen Künstler mit angeblich viel mehr Talent als er selbst es besitze, keine Gelegenheit bekommen hätten, sich überhaupt zu äußern, in denen Menschenleben wie Wasser durch die Zeit entflossen wären, ohne Spuren hinterlassen zu können, weil Staat und Terror ihnen jegliche Möglichkeit dazu verwehrten.

Die Akzeptanz des Schicksals als einer höheren Instanz, auf die letztlich nur mit Demut zu reagieren sei, da man sie nicht oder nicht genügend beeinflussen könne, war für mich in seinen Ausführungen der entscheidende Gedanke. Es schien mir in diesem Zusammenhang das Annehmen dessen zu bedeuten, was dir auferlegt ist, was auf dich zu kommt, wohlmöglich ohne deinen Willen und ohne deine Zustimmung, in Verbindung mit der Erkenntnis, dass all deine Handlungen und Reaktionen auf die Welt (dein dich Winden und Herumkriechen, dein Wimmern und Lamentieren) nur Improvisationen sind, nur Versuche, Fetzenflicken und Rumwurschteln vor dem Hintergrund der übergroßen Kausalverbindungmaschiene (und öfters auch ‚Humanmaterial-Zermalmungsmaschiene’), die das Universum darstellt. Ein Possenreißer kann dir zum Verhängnis werden und meistens bist der Possenreißer du selbst, der dich mit deinen eigenen Salti in den Abgrund befördert. In wild kreisenden Armenbewegungen schlägst du unten mit dem Gesicht zuerst auf und fragst dich in den letzten verbleibenden Sekunden, wie du so bescheuert sein konntest... (aber schon in diesen Formulierungen schleicht sich die individuenzentrierte westlich-europäische Denkweise ein).

Ich frage mich, ob diese ‚asiatische Form’ der Akzeptanz, der Demut, die sicher auch eine Obrigkeit erduldende Seite haben kann und vielleicht in diesem geographischen Raum die Ausbildung demokratischerer Strukturen verlangsamt haben mag, ohne eine religiös und metaphysisch verankerte Versprechung auskommen kann (wie es in der christlichen Religion und der Stoa mit dem Verweis auf die Gottheit und ein wie auch immer geartetes Leben nach dem Tode geschieht). Yiwu sprach mehrmals davon, dass er die obstacles in seinem Weg, die Schwierigkeiten und die ihn beschneidenden Personen und Schicksalsschläge als Lehrmeister, als „teachers“ auffasse und deutete sie damit positiv um. Wie kann eine solche Argumentation, eine solche Taktik funktionieren, ohne die metaphysische Annahme eines Lebens nach dem Tode? Denn wofür sollten die schweren Lehren und Prüfungen ‚gut’ sein? Worauf sollten sie vorbereiten und verweisen, wenn durch sie letztlich (nur) Leid produziert wird und am Ende der Tod steht ohne Wiederkehr als radikale Auslöschung? Wofür könnten die Lehren und das Leid produktiv gemacht werden, wenn alles nur auf ein Diesseits beschränkt bliebe?? Wenn das Schicksal nicht wirklich von mir beeinflusst werden kann, sondern ich von größeren und undurchsichtigen Mächten abhänge, dann bin ich gezwungen diese Schläge zu akzeptieren, doch warum sollten sie ‚gut’ sein, wenn man nicht eine Seele voraussetzt, die an ihnen reift und auf einen späteren Zeitpunkt vorbereitet wird?
Hierzu Imre Kertész: „Ist es möglich, die Sinnlosigkeit der Welt, den Gedanken an die totale Vernichtung, die auf unser einmaliges Leben folgt, anzunehmen, ohne daß wir verzweifeln, ja, so daß wir sogar noch Kraft schöpfen aus diesem Gedanken? Hier würde die Freiheit beginnen. In gewissem Sinne auch die Andacht.“ (Imre Kertész, Galeerentagebuch)

Vom ‚westlichen Denken’ setzt sich die hier referierte Auffassung Yiwus in einer gewissen Form der Passivität ab. Mir scheint die Annahme grundlegend, dass man sein Schicksal bestimmen könnte: EIN JEDER IST SEINES GLÜCKES SCHMIEDT liegt dem Europäer mit in der Wiege und wir leben oft danach. Das Schicksal wird gemeinhin nicht so hoch angesetzt, eher verbleiben die Reststücke eines katholischen Glaubens, der eine von Gott geschaffene Welt voraussetzt, die dazu da ist, die Seele der Menschen zu prüfen, die im dem Sinne aber Platz für freien Willen und Gut oder Böse lässt, da Gott nicht eingreift und nicht völlig vorbestimmt hat.

Ein ‚westlicher’ Gedanke zu dem Vorbestimmtsein des Schicksals oder zu seiner großen Macht erscheint mir dessen Verfluchung. Es ist die Anklage, dass es [das Schicksal] überhaupt derartig sein kann, dass die Grundstruktur dieser Welt so gegeben ist und Zufall und Zerstörung zulassen. Das Unmenschliche an den Grundzügen dieser Welt muss dabei verdammt werden und wird nicht als hohe, gütige oder auch nur zu akzeptierende Instanz angenommen, sondern in seiner dem menschlichen Geist und seinem Verständnis der Gerechtigkeit zuwiderlaufender Grundkonstellation angeklagt.

Zerstörung und Zersetzung aller Inhalte bis auf die Welten- und Zellengrundpfeiler, bis auf die Hormonströme, die unsere Züge leiten, ist eine Reaktion auf diese Einsicht. Es ist der mephistophelische Impuls, dass aufgrund der Schlechtigkeit dieser Welt, ihrer Imperfektion, des von ihr hervorgerufenen Leides und dessen himmelschreiender Grundlosigkeit und Ungerechtfertigkeit besser Nichts als Etwas wäre. Dunkelheit anstatt Licht, Statik anstatt der japsenden und tretenden, produzierenden und strömenden, hin- und hertrippelnden Dynamik des Lebens. Das Nicht-Akzeptieren des Unvermeidlichen, zumindest die Formulierung der Unerträglichkeit des Gegebenen als dessen grundlegende Verwerfung in einer aussichtlosen und wahnwitzigen, aber heroischen Haltung.

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