Freitag, 5. Februar 2016

Das Heimweh nach den verrauchten, versoffenen Kreuzberger Kneipen...



Das Heimweh nach den verrauchten, versoffenen Kreuzberger Kneipen... Den alten in Schöneberg, neuen in Kreuzkölln und wenn es sein muss auch den schicken-schnieken-posigen in Prenzlauer Berg. Besonders in den ersteren aber meint man, würde es geschehen. Da wo Cave und Bowie gesessen haben, würde auch jetzt, vielleicht ein paar Meter oder Kilometer weiter, sich die Erde um sich selbst drehen und ein paar Menschen dieses Faktum ganz neu erkennen und für uns arme Sünder in Verse und/oder Noten fassen. Der Absturz in Kreuzberg hat etwas Existentielles, Eigenes, auch wenn alle Welt heut über Touristen oder Schwaben oder Flüchtlinge meckert. Die Schwerkraft dort ist eine andere und sie lädt das Verweilen, das Sich-Gehen-Lassen, das Verzweifeln, das Sich-Selbst-Durch-Suff-Zugrunde-Richten, das Selbstmitleidigsein auf. Es scheint mir dort ein Sport zu sein und zwar einer der edelsten, vergleichbar nur mit Duellen auf Leben und Tod aufgrund eines völlig absurden Vorfalles. Ich muss an Benn denken – mal wieder – wie er von Georges Zusammentreffen mit jemanden berichtet - in einen Restaurant, einer Bar? Man traf sich „wie zu einem Duell“ mit Hut und im Frack, um ein Komma im Text, in einer Strophe zu diskutieren. Vom selben Ernst beseelt sind die Herren im Wild at Heart, in der Milchbar, im Trinkteufel meiner Erinnerung, schon halb unter dem Tisch, nichts mehr zu sagen, wahrscheinlich schon von der Minute an, in der sie eintraten, nun aber for sure. Oder kommt da doch noch ein Gemurmel vor? Ein Goldstück gequirlter Mäusescheiße? Eine Sekunde der Einsicht ins eigene Gescheitertsein, in die bauchflaue Leere, die sich vielleicht gegen vier oder auch erst halb sechs einstellt? Die Vorahnung auf eine eiskalte, schwarzdunkle Berliner Winternacht, die einem beim Austritt entgegenschlägt? Hoffnung auf einen traumlosen und urteilsfreien Schlaf, der endlich vergessen lässt? Der Morgen wird kommen, aber jetzt, jetzt noch nicht. Jetzt ist noch ein Rest an Zwischenzeit übrig, jenseits und drüber und drunter hinweg, von wem davon? Oh ja, VON ALLEN! Mein Gehirn wird mich schon zu bald wieder in Beschlag nehmen, jetzt jedoch noch einen Moment Freiheit, die immer die Abwesenheit von Entscheidung, das Zaudern, das Scheitern ist. Und gescheitert wird hier, im Kreuzberg meines Schädels, nicht zu knapp.