Mittwoch, 27. Oktober 2010

129


Th' expense of spirit in a waste of shame
Is lust in action; and till action, lust
Is perjured, murderous, bloody, full of blame,
Savage, extreme, rude, cruel, not to trust;
Enjoyed no sooner but despised straight:
Past reason hunted; and no sooner had,
Past reason hated, as a swallowed bait,
On purpose laid to make the taker mad:
Mad in pursuit, and in possession so;
Had, having, and in quest to have, extreme;
A bliss in proof, and proved, a very woe;
Before a joy proposed; behind, a dream.

All this the world well knows; yet none knows well
To shun the heaven that leads men to this hell.

(william shakespeare, sonnet 129)

Freitag, 8. Oktober 2010

ehrenrettung


"In diesem Sinne hat der dionysische Mensch Aehnlichkeit mit Hamlet: beide haben einmal einen wahren Blick in das Wesen der Dinge gethan, sie haben erkannt, und es ekelt sie zu handeln; denn ihre Handlung kann nichts am ewigen Wesen der Dinge
ändern, sie empfinden es als lächerlich oder schmachvoll, dass ihnen zugemuthet wird, die Welt, die aus den Fugen ist, wieder einzurichten. Die Erkenntnis tödtet das Handeln, zum Handeln gehört das Umschleiertsein durch die Illusion - das ist die Hamletlehre, nicht jene wohlfeile Weisheit von Hans dem Träumer, der aus zu viel Reflexion, gleichsam aus einem Überschuss von Möglichkeiten nicht zum Handeln kommt; nicht das Reflectiren, nein! - die wahre Erkenntniss, der Einblick in die grauenhafte Wahrheit überwiegt jedes zum Handeln antreibende Motiv, bei Hamlet sowohl als bei dem dionysischen Menschen."

(friedrich nietzsche, die geburt der tragödie)


Freitag, 1. Oktober 2010

"man kann nicht immer traurig sein, dafür ist die welt zu schön..."


diesen satz sagte mir meine mutter heute durchs telefon. sie sah dabei aus dem fenster ihrer wohnung, aus meinem alten zimmer hinaus, daheim. ich habe den ausblick vor augen, den sie vor sich hatte. ein weiter himmel aus dem 9. stock, ein beträchtlicher ausschnitt des unergründlichen blau und erst darunter, fast nebensächlich ein dunkles, ausladendes dreieck aus mietswohnungen. oft habe ich, wie sie, von dort aus gen norden geschaut, leichte weiße schleier am horizont, und in der mitte des dreiecks das tiefe dunkel eines hofes, der durch einige hohe, alte bäume eine vitale und zugleich unheimliche dimension bekam. hier sammeln sich jedes jahr im herbst die stare in großen schwärmen, bevor der zug nach süden beginnt und die bewegung dieser hundertköpfigen, ballförmigen geschwader nach rechts, links, um ausrichtung bemüht im chaos, evoziert in mir noch jetzt das schwingen einer gigantischen fahne, die das symbol des aufbruchs und verlassens durch den himmel zieht.

"man kann nicht immer traurig sein, dafür ist die welt zu schön", sagt sie und mein wissen darum, dass sie recht hat, vermischt sich unweigerlich mit der schwarzen galle meines gewissens, da ich nicht anders kann, als das plebeische dieser aussage festzustellen. es ist der immerwährende versuch des armen und gebeutelten, sein leben schön zu finden, trotz aller wiedrigkeiten und aller last. trotz aller armseligkeit, trotz aller ungerechtigkeit, trotz all des hasses und der nutzlosigkeit und: trotz der endlichkeit des schönen.
schopenhauer würde wohl vom 'willen' reden, ich gehe mit nietzsche und spreche von der 'natur', die hier ihre so oft unbemerkte, doch unerbittliche knechthaft ausübt. in ihrem sinne, dem sinne des weitermachens, weiterlebens, fortpflanzens und gutheißens wird der moment auserkoren und emporgehoben zu einem loblied auf die schönheit dieses zarten augenblicks, allem aber zum trotz.

so schaue ich also mit ihr in das blau, das nun schon elemente von gelb und weiss enthält und bald schon dunkler, tiefer werden wird, wenn die sonne über berlin verschwindet. sie sagt, "eigentlich möchte ich noch gar nicht 67 sein" und diese mischung aus erschlagender wahrheit und naivität ist entwaffnend und wahrscheinlich auch so gedacht.
die plattenbaumauern unserer welt schränken weder herz noch fantasie dermaßen ein, dass nicht ab und an ein ausblick bliebe, zumindest ein vermeintlicher und kurzer.

we can build our dungeons in the air and sit and cry the blues,
we can stumble across this world with nails hammered through our shoes
we can join that troubled chorus and critizise and accuse
it don't matter much, no
cause we've got nothing much to lose,
but this wonderful world...

and if you find it
it's a wonderful world

ich habe aus meinem herzen eine mördergrube gemacht, wohl war, und ein bad aus kaltem stahl. an ein kleines abkühlbecken in einer ranzigen saunaanlage muss ich dabei denken, auch jetzt, wo ich in gesetztem ton meiner mutter gut zurede, alles im griff zu haben vorgebe - zumindest soweit es geht - und nicht (mehr) klage, worüber auch immer. was nützt es auch alles? der morgige tag wird sonnenschein bringen und palmengrün auf terracottafarbenem sand. die kommenden schläge des lebens liegen wahrscheinlich schon abgezählt bereit und es ist nur die frage, wann sie einsetzen und nicht ob. und ob ich ihnen mit senecas gesetztem spaziergang am strand seines exiles oder mit der verzerrten fratze eines dionysischen leidens zu begegnen versuche, bleibt letztlich einerlei.
einzig vergessen scheint mir eine lösung zu sein und die lotusphagen, von denen benn berichtet, die von der besagten pflanze essen und im vergessen leben, müssen wohl die glücklichsten menschen gewesen sein?